Erdogan schafft die Pressefreiheit ab
Sie kämpfen um den Rest ihres Lebens

Weil Präsident Erdogan sich von ihnen kritisiert und beleidigt fühlt, sollen 17 türkische Journalisten für über 40 Jahre hinter Gitter.
Publiziert: 25.07.2017 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:10 Uhr
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Protest mit Luftballons gestern vor dem Justizpalast in Istanbul.
Foto: Lefteris Pitarakis
Johannes von Dohnanyi

Hunderte Menschen standen am Montagmorgen vor dem Justizpalast in Istanbul. Mit Klebeband über den Lippen, Spruchbändern und bunten Luftballons begingen sie den offiziellen türkischen Tag der Presse- und Meinungsfreiheit. Zu feiern gibt es nichts: Drinnen drängten zur gleichen Stunde türkische und internationale Medienvertreter in einen Gerichtssaal. Dort begann – nach 276 Tagen Untersuchungshaft – für 17 Journalisten der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet» der Kampf um den Rest ihres Lebens.

Laut Anklageschrift sollen sie die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen (76) und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt haben. Beide Organisationen gelten in der Türkei als Terrororganisationen. Den unbequemen Journalisten drohen bis zu 43 Jahre Haft.

Seit dem angeblich von Gülen initiierten Putschversuch im Juni 2016 hat die türkische Regierung mehr als 150 Journalisten verhaften lassen. Dutzende von Zeitungen wurden geschlossen. «Heute kontrollieren Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine AKP-Partei 70 Prozent aller Medien in der Türkei», erinnerte «Cumhuriyet»-Chefredaktor Aydin Engin (76) nur Stunden vor Prozessbeginn. Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen hat das Land am Bosporus in Bezug auf die Pressefreiheit auf Platz 150 von 180 beobachteten Staaten eingestuft. Sie nennt die Türkei das «grösste Journalistengefängnis der Welt».

«Rein politisch motiviert»

In jedem Rechtsstaat wäre die Anklage von keinem Richter überhaupt erst zugelassen worden. 657 Berichte, Tweets und E-Mails ausgerechnet jener Journalisten, die seit Jahren vor der Gülen-Bewegung warnten, hat der Staatsanwalt gegen jede sprachliche und inhaltliche Logik uminterpretiert. Der ganze Prozess, sagt der nach Berlin geflohene ehemalige Chefredaktor von «Cumhuriyet», Can Dündar (56), «ist rein politisch motiviert».

Beleidigter Pascha Erdogan

Es geht, sagen Dündar und Engin, längst nicht mehr nur um die «Cumhuriyet»-Veröffentlichung von Dokumenten, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an den Islamischen Staat (IS) belegen sollen. Erdogan verlangt ein hartes Urteil, weil er sich, seine Politik, seinen Regierungsstil und seine Familie durch die linksliberale Zeitung persönlich angegriffen fühlt. Der Pascha ist beleidigt.

Am Freitag will der Richter entscheiden, ob die 17 Journalisten aus der U-Haft entlassen werden oder hinter Gittern bleiben müssen. Das Urteil wird im frühen Herbst erwartet.

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