Seit Monaten liegen Deutschland und die Türkei im Streit. In diesem Klima gibt türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan überraschend ein Interview mit dem deutschen Wochenblatt «Zeit», das heute Abend veröffentlicht wurde. Es zeigt, dass Erdogan – kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg – von Deeskalation wenig hält. Und, dass der türkische Staatschef seine Mühe mit dem westlichen Verständnis von Journalismus hat.
Auftrittsverbot sei «politischer Selbstmord»
So greift er «Zeit»-Chefredaktor Giovanni di Lorenzo mehrfach an, weil Erdogan ein Auftritt vor seinen Landesleuten in Deutschland nicht gewährt wurde.«Was ist das bitteschön für eine Geisteshaltung?», fragt Erdogan – und gibt die Antwort gleich selbst: «Das ist hässlich. Mir ist so etwas noch nie begegnet.» Deutschland begehe damit Selbstmord. «Das ist ein politischer Selbstmord», präzisiert er.
Gleichzeitig zeigt sich Erdogan kämpferisch. Man könne ihn nicht mundtot machen, warnt der türkische Präsident. «Ich spreche ja im türkischen Fernsehen, und die strahlen ja auch in Deutschland aus», merkt er an. «Dann sollen sie auch diese Sendungen in Deutschland verbieten!»
Erdogan betont Unabhängigkeit der Gerichte
Ein zentrales Thema des Gesprächs ist zudem die Inhaftierung des deutschen Journalisten Deniz Yücel, der seit Anfang Jahr ohne Anklage in der Türkei inhaftiert ist. Die türkischen Gerichte seien unabhängig, betont Erdogan mehrfach, ohne auf die offensichtlichen Widersprüche zu dieser Aussage, auf die er von der «Zeit» aufmerksam gemacht wird, einzugehen.
Stattdessen lässt er sich vom Chefredaktoren der «Zeit» erklären, weshalb er in deutschen Medien als «Diktator» bezeichnet wird. Di Lorenzo nennt unter anderem die Inhaftierung von Journalisten wie Yücel sowie die Bespitzelung deutscher Parlamentarier durch den türkischen Geheimdienst. Diese Informationen seien falsch, erwidert Erdogan.
«Ich glaube nicht, dass es unabhängige Medien gibt»
Chefredaktor Di Lorenzo muss dem türkischen Staatschef während des Interviews zudem seine Rolle erklären: «Ich bin nicht der Sprecher der Bundesregierung, ich bin Journalist.» Unabhängigkeit sei für ihn ein zentrales Gut, erläutert er an anderer Stelle, was Erdogan mit Kopfschütteln quittiert. Das Staatsoberhaupt meint: «Ich glaube nicht daran, dass es irgendwo in der Welt unabhängige Medien gibt.»
Erdogan selbst wurde während des Interviews von seinem Berater begleitet, der laut «Zeit» «immer wieder Tafeln mit Stichwörtern» zeigte. Was darauf stand, ist leider nicht überliefert. (pma/lha)