Erdbeben-Tragödie in Italien
Warum immer Italien?

Der ETH-Seismologe Dominik Zbinden über die Erdbeben-Häufigkeit bei unserem Nachbarn.
Publiziert: 25.08.2016 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 23:05 Uhr
1/10
Schwer betroffen ist auch Accumoli. In den Trümmern wird nach einer Familie gesucht.
Foto: REUTERS
Interview Guido Felder

BLICK: Herr Zbinden, 2009 bebte fast an der gleichen Stelle wie gestern die Erde. Warum trifft es schon wieder Mittelitalien?
Dominik Zbinden:
Beben sind für diese Region nicht untypisch. Die Adriatische Platte drückt unter den Apennin, den mittel­italienischen Gebirgszug. Das sorgt für Spannungen, die sich von Zeit zu Zeit entladen. Schon 1915 und 1997 gab es dort grosse Erdbeben.

Auffällig ist, dass das Erdbeben 2009 und das von gestern fast auf die Minute zur gleichen Zeit stattfanden, ungefähr um halb vier in der Nacht. Gibt es dafür eine Erklärung?
Ob es Tag oder Nacht ist, spielt für ein Erdbeben keine Rolle. Das ist reiner Zufall. Im Gegensatz zum Tag sind Beben in der Nacht aber oft verheerender, weil die Leute im Schlaf überrascht werden.

Was sind die Unterschiede zwischen dem aktuellen Beben und jenem von 2009?
Tiefe und Heftigkeit sind sehr ähnlich. Das Hypozentrum lag 2009 direkt unter der Stadt L’Aquila. Dieses Mal hat es eher eine ländliche, weniger bewohnte Gegend getroffen. Es ist daher zu hoffen, dass es nicht so viele Opfer geben wird wie vor sieben Jahren.

Dominik Zbinden, Seismologe.

Haben die Behörden seither die richtigen Vorkehrungen getroffen?
Das kann ich nicht beurteilen. Wenn man die Bilder anschaut, sieht man, dass die betroffenen Ortschaften vor allem aus alten Steinhäusern bestehen. Die gehen bei einem Beben sehr schnell kaputt. Die wichtigste Massnahme sind daher erdbebengerecht erstellte Gebäude. Eine nachträgliche Sicherung gegen Erdbeben ist bei alten Häusern aber in vielen Fällen sehr kostspielig. Neubauten lassen sich demgegenüber einfach erdbebengerecht erstellen. Weiter sollte man die Menschen über Verhaltensregeln informieren.

Gibt es noch keine Warnsysteme, mit denen man die Bevölkerung auf Erdbeben hinweisen kann?
Japan hat ein System entwickelt, das die vorausgehenden, noch unschädlichen Primärwellen registriert und auf die zerstörerischen Scherwellen hinweist, die meistens nur wenige Sekunden später folgen. Die Hochgeschwindigkeitszüge werden so umgehend automatisch abgebremst, damit sie nicht bei hohem Tempo aus den Gleisen springen. Allerdings hilft das nur bei grösseren Beben und ab 20 Kilometer Entfernung vom Epizentrum. In Italien hätte so ein System nichts genützt.

Retter bergen einen verletzten Mann in Amatrice. Einer der Helfer trägt ein T-Shirt mit dem Namen L’Aquila – dem Nachbarort, der 2009 zerstört wurde.
Foto: AFP

Wann ist die Forschung so weit, dass man Erdbeben etwas mehr als nur ein paar Sekunden voraussagen kann?
Das ist eines der grossen, noch ungelösten Probleme. Wem es gelingt, ein solches Warnsystem zu entwickeln, hat den ­Nobelpreis verdient.

Müssen wir uns auch in der Schweiz auf Erdbeben gefasst machen?
Ja, die Schweiz ist ein Erdbebenland. Solche Beben wie in Italien hat es etwa 1946 in Siders VS oder 1855 in Visp VS gegeben. Erdbeben sind in der Schweiz die Naturgefahr mit dem grössten Risikopotenzial.

Infos über Beben und Verhaltensmassnahmen auf www.seismo.ethz.ch

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?