Er vermittelt in der Ukraine
Dieser Schweizer kämpft an der Front für den Frieden

Der Schweizer Alexander Hug (43) ist Vize-Chef der Ukraine-Mission der OSZE. Gerade verhandelt er im umkämpften Osten des Landes mit den Konflitkparteien über einen Waffenabzug. Im Gespräch mit Blick.ch erzählt er von seiner täglichen Arbeit als internationaler Beobachter – einem lebensgefährlichen Job.
Publiziert: 25.04.2015 um 07:00 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2018 um 00:11 Uhr
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Seit dem 9. April versucht Alexander Hug (43) mit Vertretern der ukrainischen und der russischen Armee in Schirokine eine Einigung zu erzielen.
Foto: ZVG
Von Lea Hartmann

Schüsse, Explosionen, Gewehrsalven. Unter der Geräuschkulisse des Krieges arbeitet Alexander Hug (43) für den Frieden. Der Schweizer ist Vize-Chef der Ukraine-Sondermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Seit Wochen pendelt der dreifache Vater zwischen der Hauptstadt Kiew und dem noch immer umkämpften ostukrainischen Dorf Schirokine. Mitten auf der Frontlinie versucht er, die Konfliktparteien zum Abzug zu bewegen.

Denn auch über zwei Monate nach Unterzeichnung des Minsker Abkommens wird im Osten der Ukraine gekämpft. In ihren täglichen Berichten hält die OSZE-Sondermission minutiös fest, wo und wann militärische Aktivitäten registriert wurden. Zwar wurde es in den vergangenen Wochen generell ruhiger – doch an Hotspots wie dem Flughafen von Donezk und dem Dorf Schirokine, wenige Kilometer von der Hafenstadt Mariupol entfernt, flammen die Kämpfe zwischen von Russland unterstützten Separatisten und der ukrainischen Armee immer wieder auf.

Während einer Verhandlungspause in Schirokine sprach Blick.ch diese Woche mit dem Vize-Missionsleiter Hug. Er hatte nur wenig Zeit. Gerade erst war er aus dem Osten der Ukraine zurückgekehrt, am nächsten Tag ging es im Flieger bereits wieder zurück.

Herr Hug, seit Wochen vermitteln Sie in Schirokine zwischen Vertretern der Ukraine und Russlands. Nun sprechen im Dorf wieder die Waffen. Sind die Verhandlungen über eine Demilitarisierung gescheitert?
Keineswegs. Vergangene Woche hielt ein Waffenstillstand über 67 Stunden, das war ein grosser Erfolg. Zwar kommt es mittlerweile immer wieder zu kurzen Gefechten, aber nicht mehr so intensiv wie auch schon. Die Verhandlungen gehen weiter und stehen kurz vor Abschluss. Wir haben einen Plan ausgearbeitet, der vorsieht, dass sich beide Parteien von einer noch zu definierenden Linie entfernen. So weit, dass sie sich nicht mehr direkte Gefechte liefern könnten. Aktuell befinden sich die Truppen teilweise nur 50 Meter voneinander entfernt.

Wie steht es um die humanitäre Lage im Dorf mitten auf der Frontlinie?
In der vergangenen Woche haben wir mit allen noch verbliebenen Bewohnern geredet – das sind gerade einmal noch 30 bis 40 Personen, darunter vor allem ältere Menschen, aber auch Kinder. Sie haben kein Strom, kein Wasser, keine Heizung. Die Versorgung mit Lebensmitteln läuft einzig über Hilfsorganisationen, die nur selten Zugang zum Dorf erhalten. Die meisten Bewohner haben zudem keinen richtigen Schutzraum, sie harren in ihren eigenen Vorratskellern aus oder sonst in einem Raum, der noch steht. Jedes Haus in Schirokine ist beschädigt, die meisten komplett zerstört. Ausserdem ist das Dorf mit unexplodierten Sprengkörpern übersät. Nebenstrassen wurden absichtlich mit Sprengfallen versehen. Das macht das Leben für uns, aber insbesondere für die Bewohner Schirokines, sehr gefährlich.

Wie beurteilen Sie die Situation im Vergleich zur Lage vor Unterzeichnung des Minsker Protokolls?
Die Situation im Osten der Ukraine hat sich massiv gebessert. Zwar können wir noch keiner Seite ein Zertifikat ausstellen, dass sie sich den Bedingungen vollständig unterworfen hat. Seit dem 12. Februar registrierten wir aber viel weniger und weniger intensive Kämpfe. Jetzt toben die Gefechte noch an Brennpunkten wie Schirokine oder dem Flughafen Donezk. Sie dauern aber jeweils relativ kurz – meist nur ein paar Minuten, im Maximum einige wenige Stunden. Auch haben wir gesehen, dass eine grosse Anzahl schwerer Waffen abgezogen wurden.

Berichten zufolge steht eine Offensive der Separatisten aber kurz bevor. Wie schätzen Sie diese Aussage ein?
Das ist schwer zu sagen. Wir sind mit 350 Beobachtern vor Ort und können zurzeit keine Anzeichen dafür feststellen. Aber das kann sich schlagartig ändern. Ein Zusammenzug kann sehr schnell passieren, zum Beispiel über Nacht.

Sie haben mehrfach kritisiert, dass die OSZE keinen Zugang zu gewissen Gebieten erhält oder eine Kontrolle zu gefährlich ist, weil die Sicherheit in einer Region nicht garantiert werden kann. Wie sieht das heute aus?
Wir haben noch immer Schwierigkeiten, überall hinzukommen – das betrifft Gebiete der Rebellen wie auch der Regierung. Aber vor allem mit der ukrainischen Regierung besteht eine gute Kooperation. Man darf nicht vergessen: Das Ganze ist ein langwieriger Prozess.

Wie gestaltet sich die Arbeit der Beobachter, wenn Sie Zugang zu einer Region erhalten?
Unsere Teams patrouillieren von fünf Uhr morgens bis 19.30 Uhr abends. Wir treffen uns beispielsweise mit lokalen Kommandanten, sprechen mit der Zivilbevölkerung, schätzen die humanitäre Lage ein. Unterwegs sind wir in gepanzerten Fahrzeugen, jeder trägt eine persönliche Schutzausrüstung. Wenn uns die Lage sicher erscheint, patrouillieren wir ausserdem zu Fuss – manchmal sechs bis sieben Stunden pro Tag. Das ist anstrengend, denn wir müssen aufpassen, nicht in Sprengfallen zu geraten. Mit dabei ist immer ein Sanitäter, weil das nächste Spital normalerweise sehr weit entfernt ist und der Weg dorthin über die Frontlinie führt.

Kommt er oft zum Einsatz?
Vergangene Woche hat sich ein Journalist bei einer Sprengfalle schwer verletzt. Unser Sanitäter kümmerte sich um den Verletzten, damit er ins Spital transportiert werden konnte. Was unsere Truppe betrifft, so wurde seit Beginn des Einsatzes vor über einem Jahr zum Glück noch kein Mitarbeiter schwer verletzt. Es wird aber passieren, das ist uns bewusst – die Risiken, die wir eingehen, sind einfach zu gross. Aber wir sind darauf vorbereitet und hoffen, dass sich der Schaden dann möglichst in Grenzen hält.

Haben Sie keine Angst, dass es Sie trifft?
Klar, es besteht immer eine gewisse Unsicherheit. Vergangene Woche haben wir das erste Mal an der Front in Schirokine übernachtet. Zwar hatten wir unsere Funkgeräte dabei und kennen die lokalen Kommandanten relativ gut – ein Restrisiko bleibt aber immer bestehen.

Wie geht ihre Familie damit um?
Kürzlich wollte ich meine drei Kinder (5, 3, 1) über das Wochenende besuchen. Am Samstag bin ich abgereist und wollte für ein paar Tage bleiben. Dann haben sich die Kämpfe allerdings intensiviert, ich musste schon einen Tag später wieder abreisen. Das ist für alle ziemlich anstrengend. Aber es bedarf einfach diesen Aufwands, um der Aufgabe gerecht zu werden. Schliesslich hoffe ich, dass sich unser Einsatz irgendwann auszahlt.

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