Bundeskanzler Olaf Scholz (65) wird am Mittwoch 70 Minuten im Bundestag Red und Antwort stehen. Schon jetzt ist klar, was im Mittelpunkt stehen wird: Warum bleibt Scholz trotz eindringlicher Bitten der Ukraine, trotz aller Ratschläge wichtiger Verbündeter und trotz des Widerstands beider Koalitionspartner eisern bei seinem Nein zur Lieferung der Taurus-Raketen ins Kriegsgebiet? Die CDU/CSU-Fraktion will ihn dazu «grillen», wie man im Politik- und Medienjargon sagt. Erfolgschancen: mässig.
Worum es in der Taurus-Debatte geht
Der Taurus ist ein in Deutschland produzierter und von der Bundeswehr genutzter Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern und höchster Treffsicherheit. Von der Ukraine aus kann man mit den gut fünf Meter langen Raketen Moskau treffen. Das hat die Regierung von Präsident Wolodimir Selenski allerdings nach eigenem Bekunden nicht vor. Sie will den Taurus zur Zerstörung der Nachschublinien der russischen Streitkräfte weit hinter der Frontlinie einsetzen. Deswegen hat sie schon im Mai vergangenen Jahres einen Antrag bei der Bundesregierung auf Bereitstellung dieses Waffensystems gestellt.
Im Oktober erteilte Scholz einer Taurus-Lieferung erstmals eine Absage – ohne eine ausführliche Erklärung zu liefern. Die folgte erst am 26. Februar auf der dpa-Chefredaktionskonferenz in einem Gespräch mit Journalisten und in den Tagen danach bei weiteren öffentlichen Veranstaltungen. Im Bundestag hat sich Scholz allerdings noch nicht dazu geäussert.
Wie Scholz argumentiert
Der Kanzler verweist auf die Sorge, dass Deutschland mit einer Lieferung des Taurus in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden könnte. Seine Argumentation ist dreistufig. Weil mit dem Taurus russisches Territorium bis nach Moskau erreicht werden kann, will Scholz die Kontrolle über diese Waffe nicht den Ukrainern überlassen. Um selbst die Kontrolle zu behalten, müssten sich aber deutsche Soldaten an der Zielsteuerung beteiligen – von Deutschland aus oder in der Ukraine. Beides kommt für Scholz nicht infrage, weil das aus seiner Sicht eine Verwicklung in den Krieg bedeuten könnte. Einem solchen Einsatz deutscher Soldaten müsste auch der Bundestag zustimmen, wenn man rechtlich auf der sicheren Seite sein will. In anderen Ländern wie Grossbritannien und Frankreich ist das nicht der Fall.
Was die Union Scholz vorwirft: Falschinformation
Die Union hält dem Kanzler vor, er habe den Eindruck vermittelt, dass der Taurus ohne deutsche Soldaten gar nicht eingesetzt werden könnte. Das von Russland abgehörte Gespräch von vier Bundeswehr-Offizieren belege aber, dass das bei entsprechender Ausbildung ukrainischer Soldaten sehr wohl möglich sei. Der CDU-Aussenpolitiker Roderich Kiesewetter sagt daher, Scholz habe «mit falschen Informationen» gearbeitet.
Scholz hat sich allerdings nie explizit zu der technischen Machbarkeit eines Taurus-Einsatzes ohne deutsche Soldaten geäussert. Auf die Frage, ob es ohne deutsche Soldaten nicht geht, sagte er auf der dpa-Chefredaktionskonferenz: «Das, was andere Länder machen, die andere Traditionen und andere Verfassungsinstitutionen haben, ist etwas, das wir jedenfalls in gleicher Weise nicht tun können.»
Was sie ihm noch vorwirft: Indiskretion gegenüber den Verbündeten
Womit wir beim zweiten Vorwurf der Union wären. Scholz habe «ausgeplaudert», wie Briten und Franzosen beim Einsatz ihrer Marschflugkörper vorgehen. Gemeint ist vor allem dieser Satz: «Was an Zielsteuerung und Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden.» Von Soldaten spricht Scholz in diesem Zusammenhang nicht. Bereits vorher hatte es aber Spekulationen darüber gegeben, dass Briten und Franzosen die Programmierung ihrer in die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen würden. Explizit wurde das aber erst vom Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz in dem abgehörten Gespräch über Taurus gesagt. Die Briten hätten «ein paar Leute vor Ort», um die Ukrainer zu unterstützen, die Franzosen allerdings nicht.
Könnte Scholz seine Meinung nochmal ändern?
Erst einmal wohl nicht. Scholz hat ein Machtwort gesprochen. «Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.» Allerdings hat er sich nicht für alle Zeiten festgelegt. Sollte sich die Situation im Kriegsgebiet gravierend ändern, könnte das vielleicht doch noch seine Meinung ändern. Offen ist auch, was es für einen Effekt haben würde, sollten sich die Amerikaner für die Lieferung von Marschflugkörpern mit grösserer Reichweite entscheiden. Bisher hat die Ukraine lediglich knapp zwei Dutzend ihrer Atacms mit einer gedrosselten Reichweite von 165 Kilometern bekommen. Die Ukraine wünscht sich aber Atacms mit einer Reichweite von 300 Kilometern.
Der Druck aus dem Bundestag dürfte den Kanzler jedenfalls erstmal nicht dazu bringen umzuschwenken. Wenn das Parlament am Donnerstag erneut auf Antrag der Union über die Lieferung abstimmt, wird es mit ziemlicher Sicherheit keine Mehrheit dafür geben. Wenn überhaupt dürften nach jetzigem Stand nur einzelne Koalitionsabgeordnete für den Antrag stimmen. (SDA)