Experten analysieren den Stum auf das Kapitol
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Der Fokus auf Blick TV:Experten analysieren den Sturm auf das Kapitol

Enthüllung über Kapitol-Sturm – Trump wütete über Mob
«Das sind nicht unsere Leute, diese Idioten mit diesen Outfits»

Ein neues Trump-Enthüllungsbuch zeigt, wie verwirrt der US-Präsident rund um die Kapitol-Stürmung agierte. Trump erkannte offenbar nicht mal seine Fanbasis.
Publiziert: 02.07.2021 um 13:07 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2021 um 14:24 Uhr
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Wie erlebte Trump den Angriff aufs Kapitol?
Foto: AFP

6. Januar 2021, rund zwei Monate nach der US-Wahl. Die Stimmauszählung im Kongress wird wüst unterbrochen: Ein wütender Mob stürmt das Kapitol – angeheizt von US-Präsident Donald Trump (75). Fünf Menschen sterben.

Wie kam es zu den Ereignissen? Das hat der Enthüllungsautor Michael Wolff (67) für sein neues Buch «77 Tage» (Originatitel: «Landslide») recherchiert, das am 27. Juli erscheint. Das «New York Magazine» und die «Welt» haben einen Auszug veröffentlicht – der die Abläufe im Weissen Haus am verhängnisvollen Tag detailliert beschreibt. Und zeigt, wie verwirrt Donald Trump an diesem Tag agierte.

Der frühe Morgen

Der Mob formiert sich bereits. Doch laut Wolff war das für Trump und seine verbleibenden Getreuen im Weissen Haus – darunter unter anderem Stabschef Mark Meadows (61), Trump-Anwalt Eric Herschmann und sein Social-Media-Berater Dan Scavino (45) – nicht wichtig. Für sie ging es um die Frage, wie Vize Mike Pence (62) sich bei der Stimmauszählung an diesem Tag im Kongress verhalten würde. Die (unrealistische) Hoffnung: Pence würde die Auszählung nicht anerkennen und US-Bundesstaaten zur Neuauszählung auffordern.

Rudy Giuliani (77), der laut Wolff die ganze Zeit Alkohol trank und sich mit Trump in «Hirngespinste» hineinsteigerte, wiederholte offenbar immer wieder: «Es steht ausser Frage, absolut ausser Frage, dass der Vizepräsident dazu in der Lage ist. Das ist eine Tatsache. Die Verfassung gibt ihm die Autorität, seine Bestätigung zu verweigern. Das geht zurück an die bundesstaatlichen Gesetzgeber.»

Kurz vor 10.00 Uhr

Die Familie trifft ein: Die Söhne Donald Trump Jr. (43) und seine Freundin Kimberly Guilfoyle (52), Eric (37) und seine Frau Lara (38). Ivanka (39) kommt allein, weil Jared Kushner (40) noch auf einer Rückreise vom Nahen Osten ist.

Wolff beschreibt die Stimmung als «aufgekratzt». Die Trump-Sippe habe die vier Jahre feiern wollen.

10.50 Uhr

Giuliani tritt ans Rednerpult. Er behauptet seit Wochen, man könne sich «voll und ganz auf Pence verlassen, das sei überhaupt keine Frage». Trump hatte Pence am Vortrag noch mal zu sich gerufen und gefragt: «Möchten Sie lieber ein Patriot sein oder ein Schlappschwanz?»

11.45 Uhr

Trumps Entourage lässt sich in der Präsidentenlimousine «Beast» und Begleitfahrzeugen zur zwei Minuten entfernten Kundgebung chauffieren.

Die Trump-Familie ist schon dort. Wolff schreibt: «Im Aufenthaltszelt ging es fast ausgelassen zu – obwohl sie vordergründig ja alle da waren, um gegen die Wahl zu protestieren, Trumps Präsidentschaft zu verteidigen und auf die Aktion des Vizepräsidenten zu ihrer Rettung zu warten. Es herrschte eine feierliche Stimmung, geprägt von dem Bewusstsein, dass dies wohl Trumps letzte Kundgebung als Präsident sein würde.»

Doch warum überhaupt die ganze Sause, wenn selbst Trumps engerer Kreis nicht damit rechnete, dass er Präsident bleiben kann? Die Antwort: Geld. Es sei bei der Kundgebung vor allem darum gegangen, Spenden zu sammeln.

Trumps Rede

Trump betrat die Bühne mit seiner Standardhymne «Proud to Be an American». Es war bitterkalt. Giuliani und seine Crew verliessen schon kurz nach Beginn von Trumps Rede «mit erfrorenen Zehen» das Gelände.

12.30 Uhr

Pence lässt die Bombe platzen. Mitten in Trumps Rede veröffentlicht das Büro des Vizepräsidenten eine zweieinhalbseitige Schrift mit der Erklärung, der Vizepräsident sei «nach sorgfältiger Prüfung» zu dem Schluss gekommen, dass er sich «nicht in der Lage sehe, Stimmen einseitig für ungültig zu erklären oder überhaupt, über seine zeremonielle Rolle hinaus, irgendetwas zu tun, das der Präsident möglicherweise von ihm erwarte».

Trump verspricht seinen etwa 30'000 bis 60'000 Zuschauern: «Anschliessend (nach der Rede) werden wir dort runterspazieren (zum Kongress) – und ich werde bei euch sein. Wir spazieren dahin. (...) Man muss Stärke zeigen, und man muss stark sein.» Die Worte versetzten die Menge in Ekstase.

13.00 Uhr

Beginn der Stimmauszählung im Kongress.

13.11 Uhr

Trump kommt von der Bühne, seine Berater sind entsetzt. «Sie können nicht mit den Leuten marschieren», zitiert Wolff den Stabschef Mark Meadows. Der Präsident scheine aber nicht recht zu wissen, was Meadows meint.

Meadows: «Sie sagten, Sie würden mit ihnen zum Kapitol marschieren.»

Trump: «Na ja –»

Meadows: «Wie sollten wir das machen? Wir können das nicht organisieren. Das geht nicht.»

Trump: «Ich hab das nicht wörtlich gemeint.»

13.30 Uhr

Trump ist wieder im Weissen Haus, Ivanka ist bei ihm. Der US-Präsident zappt hin und her, ist aber enttäuscht, dass bislang nur C-Span über Unruhen berichtete.

Giuliani ruft vom Luxushotel Willard aus an und gibt ihm «einen atemlosen Bericht zu Pence, ohne jedoch über neue Informationen zu verfügen».

Wolff beschreibt, dass ausser Trump und Giuliani niemand mehr an den «Sieg» glaubte: «Auch wenn die Medien düster vor einem geheimen Plan, an der Macht zu bleiben – ja sogar einem bevorstehenden Staatsstreich – warnten, gab es tatsächlich nur zwei Verschwörer und niemanden, der sie unterstützte.»

13.49 Uhr

Trump retweetet ein Video seiner Rede. Zeitgleich durchbrechen Randalierer die Pforten des Kapitols.

14.15 Uhr

Trumps Berater werden nervös. «Hier passieren gerade ein paar Dinge, bei denen ich im Moment nicht ganz durchsteige …», sagte Stabschef Meadows.

14.20 Uhr

Der Kongress vertagt die Stimmauszählung.

14.24 Uhr

Trump twittert über seinen Vize, nachdem er erfahren hat, dass er das Wahlergebnis in Arizona anerkannt hat: «Mike Pence hatte nicht den Mut zu tun, was hätte getan werden müssen, um unser Land und unsere Verfassung zu schützen, indem er Staaten eine Chance gibt, korrigierte Fakten zu zertifizieren, nicht die betrügerischen oder ungenauen, die sie im Voraus zertifizieren sollten. Die USA verlangen die Wahrheit!»

Meadows, Herschmann und Scavino drängen den Präsidenten, eine öffentliche Erklärung zu den Ereignissen abzugeben und die Demonstranten zu ermahnen, «doch seine Gedanken kreisten nach wie vor einzig um den Vizepräsidenten».

14.38 Uhr

Trump postet einen von Scavino verfassten Tweet, in dem er den Mob aufrief, friedlich zu bleiben.

Ivanka streift derweil laut Wolff durch das Weisse Haus und plauderte über ihre Kinder.

15.30 Uhr

Auf Drängen seiner Berater hat Trump einen weiteren Aufruf zur Gewaltfreiheit gepostet. Anrufern erklärt er, er werde sich äussern: «Aber noch immer wiederholte er, man habe ihm die Wahl gestohlen, und wollte von jedem Anrufer bestätigt bekommen, dass die Sache mit den Protesten übertrieben werde – dass es vor allem ein friedlicher Protest sei, nicht wahr?»

15.40 Uhr

Während bei Trump offenbar langsam ein Umdenken stattfindet und er den Mob als «nicht unsere Leute» bezeichnet, nennt Ivanka den Mob in einem später gelöschten Tweet «Amerikanische Patrioten».

Der Mob

Trump selbst war offenbar über seine harte Fanbasis «verwirrt». In Telefonaten habe er im Laufe des späten Nachmittags «hilflos» gewirkt: «Der Monolog wurde schleppender und schien sogar zu versiegen, sodass sich einige der Anrufer nicht mehr sicher waren, ob der ansonsten nicht zu bremsende Dauerredner überhaupt noch in der Leitung war.»

Scavino teilte Trump mit, dass er auf Twitter gesperrt sei. Um kurz nach 19 Uhr stand Trump in einem Telefonat offenbar völlig neben sich. «Ich weiss nicht, was ich hier tun soll», sagte er «und in seinem Ton schwang eine solche Unsicherheit, ja Alarmstimmung mit, wie sie der Anrufer noch nie beim Präsidenten vernommen hatte».

Am Abend sagte Trump in einem Krisen-Call: «Wer sind diese Leute? Das sind nicht unsere Leute, diese Idioten mit diesen Outfits. Sie sehen aus wie Demokraten.»

4.00 Uhr am nächsten Morgen

Scavino veröffentlicht über seinen Twitter-Account Trumps Erklärung:

«Auch wenn ich mit dem Ergebnis der Wahl überhaupt nicht einverstanden bin und die Fakten mich bestätigen, wird es dennoch einen geordneten Übergang am 20. Januar geben. Ich habe immer gesagt, wir werden unseren Kampf führen, um sicherzustellen, dass nur legale Stimmen gezählt wurden. Während dies das Ende der grössten ersten Amtszeit in der Geschichte der Präsidentschaft darstellt, ist es nur der Beginn unseres Kampfes, um Amerika wieder gross zu machen!»

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