Knapp sechs Wochen nach der Wahl in den USA nimmt der künftige Präsident Joe Biden (78) eine weitere wichtige Hürde vor seiner Amtseinführung: In den 50 US-Bundesstaaten und dem Hauptstadtbezirk Washington kommen am Montag die insgesamt 538 Wahlleute zur Abstimmung über den künftigen Präsidenten zusammen. In den allermeisten Bundesstaaten bekommt der Wahlsieger alle Stimmen der dortigen Wahlleute. Den zertifizierten Ergebnissen zufolge entfallen auf den Demokraten Biden 306 Wahlleute und 232 auf den republikanischen Amtsinhaber Donald Trump (74). Das Ergebnis wird offiziell erst am 6. Januar im Kongress in Washington verkündet.
Biden soll am 20. Januar in Washington Januar vereidigt werden. Trump wehrt sich weiterhin gegen seine Niederlage bei der Wahl vom 3. November. Der Präsident wird in den USA indirekt gewählt. Gewinner ist, wer mindestens 270 Wahlleute auf sich vereinen kann. Am Montag bekommt jeder Wahlmann und jede Wahlfrau einen eigenen Stimmzettel, der unterschrieben an Vizepräsident Mike Pence (61) in seiner Funktion als Präsident des US-Senats übermittelt wird. Kopien gehen an andere Institutionen des jeweiligen Bundesstaats und der Bundesregierung. Biden kündigte an, sich am Montagabend (Ortszeit) zu äussern.
Gewöhnlich reine Formalität
Die Abstimmung der Wahlleute ist normalerweise eine Formalie, weil der unterlegene Kandidat in der Regel noch in der Wahlnacht seine Niederlage einräumt. Trump behauptet aber immer noch, dass eigentlich er die Wahl gewonnen habe, und sieht sich durch Betrug um seinen Sieg gebracht. Er schrieb am Sonntag auf Twitter: «Wie bestätigen Staaten und Politiker eine Wahl, bei der Korruption und Unregelmässigkeiten durchweg dokumentiert sind?» Weder Trump noch seine Anwälte oder seine Unterstützer haben Belege für ihre Vorwürfe vorgelegt.
Das Trump-Lager ist bislang mit mehr als 50 Klagen gegen das Wahlergebnis gescheitert. Am Freitag wies auch der Supreme Court in Washington eine Klage ab, mit der Bidens Sieg in vier Bundesstaaten gekippt werden sollte. Trump kündigte in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview des Senders Fox News an, dennoch weiter juristisch gegen seine Niederlage kämpfen zu wollen. «Es ist nicht vorbei», sagte er. Es gebe noch «mehrere lokale Fälle» in Bundesstaaten, bei denen seine Anwälte gegen das Wahlergebnis vorgingen. Reelle Chancen werden Trump nicht eingeräumt.
Trump hatte am Samstag scharfe Kritik an der Entscheidung des Supreme Court geübt. «Das ist ein grosser und skandalöser Justizirrtum. Das Volk der Vereinigten Staaten wurde betrogen und unser Land blamiert», schrieb er auf Twitter. Trump behauptete erneut, er habe die Wahl mit einem «Erdrutschsieg» gewonnen. Das entbehrt jeder Grundlage. Twitter versah am Wochenende mehrere Trump-Tweets mit Warnhinweisen, wonach die von ihm behauptete Manipulation bei der Wahl umstritten ist.
Was wusste Justizminister Barr?
In Trumps Visier war am Samstag auch Justizminister William Barr (70) geraten. Das «Wall Street Journal» hatte berichtet, dass Barr bereits seit dem Frühjahr von Ermittlungen gegen Joe Bidens Sohn Hunter Biden (50) gewusst habe. Barr habe diese Ermittlungen aber aus dem Wahlkampf heraushalten wollen. Trump retweetete eine Twitter-Nachricht, in der Barrs Entlassung gefordert wurde, sollte der Bericht zutreffen. Der Präsident schrieb dazu: «Eine grosse Enttäuschung!»
Der Supreme Court hatte bereits am vergangenen Dienstag einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung zurückgewiesen, mit der das Trump-Lager Bidens Sieg im Bundesstaat Pennsylvania kippen wollte. Kritiker vermuten hinter Trumps Weigerung, seine Niederlage anzuerkennen, den Versuch, weiter Spenden von Unterstützern einzusammeln. Trumps Team ruft immer noch zu Spenden auf, um die Klagen zu unterstützen. Erst aus dem Kleingedruckten wird ersichtlich, dass der Grossteil der Mittel an eine Organisation geht, die Trump auch für andere politische Zwecke einsetzen könnte.
Auch Supreme Court lässt Trump hängen
Die zuständigen US-Behörden hatten die Wahl zur sichersten jemals in den USA erklärt. Zuletzt hatte auch Justizminister Barr gesagt, dass es keine Beweise für Betrug in einem Ausmass gegeben habe, der das Ergebnis verändern könnte. Alle 50 Bundesstaaten und der Hauptstadtbezirk Washington haben ihre Ergebnisse zertifiziert.
Trump hatte nach dem Tod der liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg (†89) im September Druck gemacht, den Sitz am Supreme Court noch vor der Wahl am Obersten Gericht schnell mit der Konservativen Juristin Amy Coney Barrett (48) zu besetzen. Er verwies dabei auch ausdrücklich auf möglichen Streit um den Wahlausgang. Die Konservativen dominieren im Gericht nun mit einer Mehrheit von sechs zu drei Stimmen. Allerdings wurden die bisherigen Klagen des Trump-Lagers von Richtern unabhängig davon abgewiesen, ob sie von demokratischen oder republikanischen Präsidenten nominiert worden waren. (SDA)