Auf einen Blick
- Polen will Asylrecht an Belarus-Grenze aussetzen
- Kritik von EU und Menschenrechtsorganisationen wegen Tusks Ankündigung
- Polen und EU beschuldigen Putin und Lukaschenko der organisierten Migration
- Grenzschutz registrierte seit Jahresbeginn knapp 28'000 Versuche
- Spannungen im Kabinett über Asylrechtsaussetzung während sechsstündiger Sitzung
Polen will mit einem neuen Gesetz das Recht auf Asyl an der Grenze zu Belarus vorübergehend aussetzen. Der Gesetzentwurf werde in einigen Wochen vorliegen, sagte Jan Grabiec, der Kanzleichef von Ministerpräsident Donald Tusk, gegenüber dem Sender TVN24. «Das Gesetz besagt: Wenn jemand illegal die polnische Grenze überquert, der von belarussischen Diensten dorthin gebracht wurde, wenn es sich um ein Element der hybriden Kriegsführung handelt, dann ist der polnische Grenzschutz nicht verpflichtet, Asylanträge dieser Personen anzunehmen.»
Tusk hatte am Wochenende auf einem Parteitag seiner liberalkonservativen Bürgerkoalition angekündigt, sein Land plane die vorübergehende Aussetzung des Asylrechts. Dies hatte ihm von der EU-Kommission und von Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland Kritik eingebracht.
Will Belarus Migranten an die Grenze bringen?
Polen und die EU beschuldigen Russlands Präsidenten Wladimir Putin (71) und seinen Verbündeten, den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko (70), in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Aussengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben. Trotz des Baus eines mehr als fünf Meter hohen Zauns und eines elektronischen Überwachungssystems versuchen Migranten täglich, irregulär die Grenze zu überqueren. Seit Beginn des Jahres hat der Grenzschutz knapp 28'000 solcher Versuche registriert.
Das Kabinett befasste sich in Warschau in einer sechsstündigen Sitzung mit einem Papier zur Migrationspolitik. Darin heisst es: «Wenn die Gefahr einer Destabilisierung des Landes durch den Zustrom von Migranten besteht, soll es möglich sein, das Recht auf Annahme von Asylanträgen vorübergehend und territorial auszusetzen.»
Koalitionspartner streiten über Asylrecht
Nach der Kabinettssitzung schrieb Tusk auf der Plattform X, die Regierung habe das Papier in einer «schweren, aber äusserst notwendigen Entscheidung» angenommen. Offenbar traten aber während der Sitzung Spannungen zwischen den Koalitionspartnern von Tusks Mitte-Links-Bündnis in der Asylfrage zutage.
Die vier Minister des Linksbündnisses Lewica hätten eine abweichende Meinung formuliert, sagte Digitalisierungsminister Krzysztof Gawkowski dem Portal Onet.pl. «Wir halten die Verschärfung der Verfahren für illegale Migranten für nötig, aber wir wollen nicht, dass Elemente wie die Aussetzung des Asylrechts in der Strategie auftauchen.»