Auf einen Blick
- Klimaverhandlungen stocken: Entwicklungsländer verlassen aus Protest den Verhandlungssaal
- Baerbock warnt vor Rückschritten beim Klimaschutz zugunsten von Finanzhilfen
- Jährlicher Bedarf an Klimahilfen: 1000 Milliarden US-Dollar bis 2030
«Wir Europäer werden nicht zulassen, dass die verletzlichsten Staaten auf der Welt, insbesondere die kleinen Inselstaaten, von einigen der neuen fossilen und reichen Emittenten jetzt hier über den Tisch gezogen werden. Und das im Zweifel auch noch auch mit Rückendeckung der COP-Präsidentschaft», sagte die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock. Die gesundheitlich angeschlagene Ministerin blieb anders als zwischenzeitlich geplant doch vor Ort in Baku.
Man versuche Brücken zu bauen – Vor allem zu den Inselstaaten und anderen Entwicklungsländern, sagte Baerbock. «Gerade auch, weil die Anliegen dieser Länder leider von der Präsidentschaft bisher ignoriert worden sind.»
Vertreter der Inselstaaten und der am wenigsten entwickelten Länder verliessen am Nachmittag aus Protest gegen die Präsidentschaft den Verhandlungssaal, weil diese nach ihren Worten in zirkulierenden Textentwürfen ihre Anliegen aussen vor liess. Einigung? «Abgelehnt!», rief eine Verhandlerin.
«Wir gehen buchstäblich unter»
Ein Sprecher der Inselstaaten fragte: «Wie könnt ihr von uns erwarten, dass wir zu den Frauen, Männern und Kindern in unseren Ländern mit einem Deal zurückkehren, der sie mit Sicherheit in weitere Gefahren stürzen wird?» Was hier geschehe, mache deutlich, dass Industrie- und Entwicklungsländer in unterschiedlichen Booten sässen. «Nach dem Ende dieser COP29 können wir nicht einfach in den Sonnenuntergang segeln. Wir gehen buchstäblich unter.»
Aktivisten riefen dem US-Klimabeauftragten John Podesta, der eilig den Saal verliess, hinterher: «Schande, Schande! Zahlt den fairen Anteil!»
Die Umweltministerin Kolumbiens, Susana Muhamad, sagte: «Wir sind hier zum Verhandeln. Aber wir haben den Raum verlassen, denn im Moment haben wir nicht das Gefühl, dass wir gehört werden.» Aus EU-Delegationskreisen hiess es, man gehe davon aus, dass die Verhandlungen noch weitergehen.
«Geld allein wird die Welt nicht retten»
Baerbock warnte davor, im Ringen um die Aufstockung von Klimahilfen zugunsten ärmerer Staaten im Gegenzug Rückschritte bei Beschlüssen aus dem vergangenen Jahr zum Klimaschutz zu machen. Klimahilfen und die Verringerung klimaschädlicher Emissionen «gehören aufs Engste zusammen», sagte Baerbock. Denn: «Money alone won't save the world» (Deutsch: «Geld allein wird die Welt nicht retten»), fügte sie auf Englisch hinzu.
Beobachtern zufolge hatte insbesondere Saudi-Arabien während der zweiwöchigen Verhandlungen gemeinsam mit einigen grossen autoritären Staaten versucht, schon gefasste Beschlüsse für den Klimaschutz zurückzudrehen.
Zur Forderung von Entwicklungsstaaten, jährlich Billionen US-Dollar an Klimahilfen zu mobilisieren, sagte Baerbock, dafür müssten jetzt alle grossen Emittenten von Treibhausgasen mit ins Boot. «Vor allen Dingen auch die grossen und reichen neuen Emittenten». Schon zuvor hatte sie gefordert, dass etwa China, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten, die mit Öl, Gas und Kohle viel verdient haben, in den Geberkreis gehörten.
Auch eine unabhängige UN-Expertengruppe kommt zu dem Schluss, dass der Bedarf an externer Hilfe bei rund 1000 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2030 liegt – sogar 1300 Milliarden bis 2035.
Aus Verhandlungskreisen wurde indes deutlich, dass statt der 250 Milliarden US-Dollar, die zunächst als jährliche Klimahilfen vor allem von Industriestaaten an ärmere Länder vorgeschlagen wurden, nun 300 Milliarden Dollar im Raum stehen.
Die Zeit läuft ab
Für eine Einigung läuft die Zeit ab: Mindestens zwei Drittel der rund 200 Vertragsstaaten müssen für eine Entscheidung vor Ort sein. Das ist vor allem für die ärmeren Länder ein Problem, denn ihre Delegierten haben oft nicht das Geld, um Flüge und Hotels umzubuchen.
Gelingt keine Einigung, laufen die bislang beschlossenen Finanzhilfen von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr 2025 aus. Was danach passiert, würde auf Verhandlungen im kommenden Jahr vertagt. Konkret bedeutet das, dass viele Länder nicht genug Geld haben, um wirksam Klimaschutz auf die Beine zu stellen und sie sich auch nicht ausreichend anpassen können. Im Endeffekt: mehr Leid, mehr Zerstörung und mehr Migration in reichere Weltregionen wie Europa.