Staatssekretär mit 24. Aussenminister mit 27 – nun mit 31 schon Bundeskanzler. Die steile Karriere von Sebastian Kurz lässt Europa staunen. Eine Biografie (192 Seiten, erscheint heute) von «Bild»-Journalist Paul Ronzheimer beleuchtet nun den Werdegang des Politikers und zeigt auch die private Seite des jüngsten Regierungschefs der Welt.
Familie mit Flüchtlingen: Aufgewachsen ist Kurz im Wiener Arbeiterbezirk Meidling – als einziger Sohn einer Lehrerin und eines Ingenieurs. Als Kind wird er selbst mit dem Flüchtlingsthema konfrontiert. Als 1992 der Jugoslawien-Krieg wütet, entscheiden sich seine Eltern junge Flüchtlingsmädchen aufzunehmen. Auf dem Bauernhof der Grosseltern vor den Toren Wiens finden sie eine neue Heimat – und einen neuen Freund: Sebastian Kurz. Er erinnert sich: «Es waren Mädchen, die damals in einer extrem schrecklichen Lage waren. Ich weiss noch genau, wie ich mich als Kind gefragt habe, wo denn ihre Väter sind.» Die Familiengeschichte verpflichtet. Denn: Die Grosseltern von Kurz waren in den Wirren des Zweiten Weltkriegs selbst von Ungarn nach Österreich geflüchtet. Krieg, Flucht und Vertreibung sind im Hause Kurz also immer Thema. Was noch niemand ahnt: Die Themen werden auch die politische Karriere von Sebastian Kurz entscheidend prägen.
Vater über Nacht ohne Job: Ein Schock ist die plötzliche Arbeitslosigkeit des Vaters. Der Ingenieur Josef Kurz verliert 2005 seinen Job. Der Sohn ist konsterniert: «Es war ein sehr einprägendes Erlebnis. Dass mein Vater in eine Situation kam, für die er nichts konnte.» Diese gefühlte Ungerechtigkeit macht Kurz zum politischen Menschen. Mit 16 ruft er im Parteibüro der ÖVP Meidling an – und will Mitglied werden. Der verdutzte Parteikader vertröstet ihn. Er solle sich melden, «wenn er älter sei». Doch Kurz bleibt hart – und tritt der Jungen ÖVP bei.
Liebe: Zwischen Matura und Wehrdienst lernt Kurz die Frau seines Lebens kennen. Es ist Susanne Thier, die ihn und seine Karriere seit jungen Jahren begleitet und unterstützt. Die Blondine hält sich meist aus der Öffentlichkeit zurück, sagt nur: «Zu Hause ist er nicht der Kanzler, sondern immer der normale Sebastian.»
Nackte Haut: Im Jahr 2009 macht Kurz als Bundesobmann der Jungen ÖVP mit einer freizügigen Kampagne von sich reden. Die Partei wirbt mit zwei leicht bekleideten Frauen für einen 24-Stunden-Takt der Wiener U-Bahn am Wochenende. Trotz Sexismus-Kritik verfehlt die Kampagne nicht ihre Wirkung: die Nacht-U-Bahn wird Realität.
Erste Panne: Mit dem «Geilo-Mobil», einer langen Stretchlimousine, will Kurz 2010 die Wien-Wahl für die ÖVP gewinnen. Der Schuss geht nach hinten los – und das Bild des «Schnösels» prägt sich bei vielen ein. Bis heute.
Plötzlich Staatssekretär: Trotz der Wahlkampf-Panne wird Kurz von ÖVP-Aussenminister Spindelegger zum Staatssekretär für Integration berufen. Die Kritik an der Personalie ist vernichtend. Die österreichische Presse titelt: «Unfug!», «Marketing-Gag!», «Verarschung!». Dennoch: Der Jungpolitiker bewährt sich mit Dossier-Kenntnis und Durchhaltevermögen. Er kämpft für das Islam-Gesetz (Burka-Verbote, keine Koran-Verteilaktionen, Pflicht-Integrationskurse für Flüchtlinge), boxt es durch – und wird plötzlich als Aussenminister ins Spiel gebracht.
Wahlsieger und Aussenminister: Die hohen Beliebtheitswerte schlagen sich im Wahlergebnis nieder. Kurz gewinnt mehr Direktstimmen als jeder andere Politiker. Am jungen Shootingstar kommt niemand mehr vorbei. In der SPÖ/ÖVP-Koalition sichert sich Kurz das Aussenamt – auch sein Steckenpferd die Integration gliedert er dem Ministerium kurzerhand unter.
Schluss mit der Balkan-Route: Kurz' Amtszeit ist von weltpolitischen Umbrüchen geprägt: Ukraine-Krieg, Arabischer Frühling, Flüchtlingskrise. Als die Flüchtlinge nach Europa drängen, entschliesst sich Kurz im März 2016 zur Schliessung der Balkan-Route. Er stösst damit besonders den Deutschen vor den Kopf. In Berlin ist man ausser sich – der Politneuling düpiert Merkels Willkommenskultur. Der damalige deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier schimpft am Telefon. «Der war richtig wütend», wird Kurz später Mitarbeitern berichten. In Brüssel kippt die Stimmung: Der junge Politiker wird mit seiner harten Hand in der Flüchtlingsfrage zur «persona non grata». Besonders Griechenland, das unter der Last der Flüchtlinge fast zerbricht, macht Kurz zum Feindbild. Doch der lässt sich nicht beirren. Die Schattenseite nimmt er in Kauf: Nach Westeuropa kommt nun nur noch, wer genügend Geld an Schlepper zahlen kann.
Weg frei zur Kanzlerschaft: Noch-Kanzler Faymann (SPÖ) verliert sich in der Flüchtlingsfrage. Erst ist er gegen die Schliessung der Balkan-Route. Als er merkt, dass die Linie von Kurz bei der Bevölkerung ankommt, wechselt Faymann die Seite. Es nützt ihm nichts. Seine Glaubwürdigkeit ist weg, er schmeisst hin. Nachfolger Kern übernimmt, ohne echten Erfolg. Ende vom Lied: Österreich bekommt mal wieder Neuwahlen – und Kurz ist plötzlich Kanzler-Kandidat. Das Problem: Die Stimmung zwischen seiner ÖVP und SPÖ ist vergiftet. Der einzige Ausweg: Eine Koalition mit der verpönten FPÖ und ihrem Rechtsaussen Heinz-Christian Strache. Auf dem Weg zum Ziel lässt sich Kurz zum ÖVP-Vorsitzenden wählen. Sein Slogan: «Zeit für Neues».
Der schmutzige Weg zur Krönung: Der Wahlkampf ist auch für österreichische Verhältnisse schmutzig. Auf Facebook wird Kurz mit Fake-Seiten diffamiert, dubiose Gerüchte werden gestreut, schräge Doppelberater fliegen auf. Am Ende folgt trotzdem ein klarer Wahlsieg: 31,5 Prozent für die ÖVP. Gefolgt von der SPÖ mit 26,9 Prozent, knapp dahinter: die FPÖ mit 26 Prozent. Was am Wahlabend eindeutig scheint, wird doch noch zur Zitterpartie. Die SPÖ flirtet auf einmal mit der FPÖ – am Ende schwenkt die FPÖ dann doch zu Kurz. Die Koalitionsverhandlungen verlaufen erstaunlich ruhig. In Österreich gibt es kaum Proteste. Auch ein Zeichen, wie sich Europa in den letzten Jahren verändert hat. Am 18. Dezember wird Kurz zum Bundeskanzler ernannt. Ein makelloser Aufstieg. Doch die Frage wird sein, wie sich der Kanzler von seinem Koalitionspartner, der FPÖ, abgrenzen kann. Die Zweckehe birgt Risiken. Und Kurz muss wissen: Die FPÖ ist mit ihren rechten Auswüchsen ein gefährlicher Partner für seine Mission.