Ein Jahr «Islamischer Staat»
Stoppt der Hunger die IS-Terroristen?

Vor einem Jahr rief der IS in Syrien und im Irak ein «Islamisches Kalifat» aus. Militärische Niederlagen zeigen, dass die Extremisten besiegbar sind. Ein Ende der Terrormiliz ist trotzdem nicht in Sicht.
Publiziert: 24.06.2015 um 11:14 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 00:41 Uhr
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Kundgebung von IS-Anhängern in Falluja, 65 km westlich von Bagdad
Foto: Keystone

Die Audiobotschaft vom 29. Juni 2014, die das ganze Ausmass des Terrors verdeutlichte, verbreitete sich in Windeseile über das Internet. «Die Sonne des Dschihad ist aufgegangen», verkündete der Sprecher der sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Mohammed al-Adnani, in singendem Tonfall. «Die Zeichen des Sieges sind erschienen.»

Dann folgte der Satz, der nicht nur Muslime erschreckte: Die Führer des IS hätten beschlossen, ein «Islamisches Kalifat» zu errichten.

Ziel: Eigener Staat

Spätestens mit dieser Audiobotschaft wurde deutlich, dass es sich beim IS nicht nur um eine Horde wilder Kämpfer handelt, die grosse Landstriche im Irak und in Syrien überrannt haben.

Die Ambitionen des IS gehen weit darüber hinaus: Mit der Ausrufung des Kalifats wollen sie an die Staatsform anknüpfen, mit der viele Muslime bis heute goldene Zeiten des Islams verbinden.

Zugleich verkündeten sie damit, dass sie einen eigenen Staat aufbauen wollen - ein Zeichen der Stärke, das auf viele Sympathisanten der Dschihadisten anziehend wirkt, weil es ihnen Macht und ein visionäres Ziel vorgaukelt.

Bald eigene Währung?

Im eigenen Herrschaftsgebiet kontrolliert der IS nicht nur Verwaltung und Bildungswesen, sondern treibt auch Steuern ein. Eigene Gerichte setzen die radikalste Lesart der Scharia, des islamischen Rechts, durch.

Sogar Gerüchte über eine eigene Währung kursierten schon im Internet - inklusive Bildern von angeblich entworfenen Geldscheinen. Geleitet wird das Gebilde von «Kalif Ibrahim», wie sich IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi seit Auftauchen der Audiobotschaft nennt.

Schein der Unbesiegbarkeit

Doch das Kalifat dient dem IS auch dazu, eine Fassade der Stärke aufzubauen. Zur Propaganda der Extremisten gehört es, Gegnern Angst und Schrecken einzujagen, indem man sie glauben lässt, der IS wäre unbesiegbar.

Mit radikalster Gewalt geht die sunnitische Miliz gegen Gegner und Andersgläubige vor. Die militärischen Erfolge der Dschihadisten tragen zu diesem Bild bei. Erst vor wenigen Wochen konnten sie im Westen des Iraks die Provinzhauptstadt Ramadi einnehmen – ein schwerer Schlag für die Regierung und Armee des Landes.

Unbezwingbar aber sind die Dschihadisten nicht. Kurdische Volksschutzeinheiten vertrieben den IS Ende Januar nach monatelangen heftigen Kämpfen aus der nordsyrischen Stadt Kobane.

Vor wenigen Tagen mussten sich die Extremisten etwas weiter östlich erneut den Kurden beugen, als sie die strategisch wichtige Grenzstadt Tell Abjad an die Volksschutzeinheiten verloren.

Das zeigt: Einigermassen gut organisierte Einheiten können den Dschihadisten die Stirn bieten.

Drohende Ernteausfälle

Dem IS drohen zudem wirtschaftliche Probleme. Zwar gilt die Miliz als reichste Terrorgruppe der Welt, weil ihr der Besitz von Öl- und Gasfeldern im Irak und in Syrien Millioneneinnahmen beschert. Doch einen Staat zu unterhalten, kostet viel Geld.

Der IS-Reichtum basiert zudem auf einer Beutewirtschaft: Eroberte Gebiete werden geplündert. Grosse Geländegewinne konnte der IS zuletzt jedoch nicht erzielen.

Guido Steinberg, Terror-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) rechnet zudem schon in diesem Herbst mit Versorgungsproblemen. «Viele landwirtschaftliche Flächen im Herrschaftsgebiet des IS liegen brach», sagt der Politikwissenschaftler. «Spätestens mit Ausbleiben der Ernte werden Probleme auftauchen.»

Breite Unterstützung aus der Bevölkerung

Könnte das der Anfang vom Ende des IS sein? Daran glaubt Steinberg nicht, schliesslich geniessen die Extremisten unter den einheimischen Sunniten noch immer Unterstützung. So erwartet der Experte derzeit nicht, dass sich die Bevölkerung gegen den IS auflehnt. Vor allem fehle es den Menschen an Alternativen, sagt Steinberg.

Im Irak und in Syrien lehnen die meisten Sunniten die von Schiiten dominierte Regierung in Bagdad ab, weil sie sich diskriminiert fühlen. Das Regime in Damaskus hat bei seinen Gegnern längst jede Legitimität verloren.

Ausserdem gibt es in beiden Ländern ausser den Kurden keine militärische Kraft, die den IS momentan besiegen kann. Der irakischen Armee fehlt trotz US-Hilfe die Schlagkraft, die syrische Armee ist ausgelaugt.

Der Erfolg des IS ist weniger ein Ergebnis seiner eigenen Stärke - als vielmehr der Schwäche seiner Gegner. (gr/SDA)

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