Wer hat Angst vor José Adolfo Macías Villamar (44), genannt «Fito»? Ganz Ecuador – und das zu Recht: Seit dem spurlosen Verschwinden des Drogenbosses aus seiner Gefängniszelle versinkt das Land im Chaos. Mit einem Terrorangriff nach dem anderen versetzen Fitos Leute die ecuadorianische Bevölkerung seit Anfang Woche in Angst und Schrecken. Sie zündeten Autobomben, lösten Panik in Universitäten und Schulen aus, und stürmten ein Fernsehstudio in Guayaquil, das gerade Nachrichten sendete. Bei den Gewaltakten kamen bislang zehn Menschen ums Leben.
Präsident Daniel Noboa (36), der erst seit November im Amt ist, rief am Dienstag sogar einen 60 Tage langen Ausnahmezustand aus. Und signalisierte damit: Das Land befindet sich praktisch in einer Art Bürgerkrieg.
Ecuador ist Mittelpunkt internationaler Drogenkriege
Die Macht der ecuadorianischen Drogenkartelle ist praktisch unbegrenzt. Gangsterboss Fito gilt bereits vielen als der heimliche Präsident des Landes. Kein Wunder: Er ist Anführer der Choneros, die in Ecuador über 10'000 Mitglieder zählen sollen. Zum Vergleich: Ecuador hat eine Bevölkerung von 17,8 Millionen Menschen (Stand 2021). Doch die Macht der Bande reicht weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Choneros gelten als Verbündete des mexikanischen Sinaloa-Kartells.
Die Verbindung zu der mexikanischen Drogen-Mafia hat aber auch Schattenseiten für Fito: Seine Gang ist in einen Stellvertreterkrieg der mexikanischen Drogenkartelle verwickelt. Und: Kurz nach Fitos Flucht gelang auch einem Chef der rivalisierenden Gang Los Lobos die Flucht, die mit dem mexikanischen Kartell Jalisco Nueva Generación (CJNG) verbündet ist – dem Erzfeind des Sinaloa-Kartells. Die beiden Verbrecherorganisationen, die in Mexiko für den Tod Zehntausender Menschen verantwortlich sind, tragen ihre Konflikte zunehmend auch in anderen Ländern Lateinamerikas aus.
Kann man die Gewalt noch stoppen?
Es brennt also an allen Ecken und Enden in Ecuador. Aber wie ist es so weit gekommen? Ecuador galt schliesslich lange als eines der sichersten Länder Lateinamerikas. Die Antwort liefert die geografische Lage des Landes: Ecuador liegt zwischen Kolumbien und Peru, den beiden grössten Kokain-Produzenten der Welt.
Das Land verfügt über eine gute Infrastruktur und mit Guayaquil über einen grossen, kaum zu kontrollierenden Hafen. Ausserdem wird das Naturparadies der Galapagos-Inseln, die zu Ecuador gehören, als Drogen-Umschlagplatz für den Transport nach Nordamerika genutzt. Kurz: Das Land ist zum Spielplatz internationale Drogenkartelle geworden.
Die Lage scheint ausweglos, Präsident Noboa will den Kampf gegen die Drogen-Mafia aber nicht aufgeben. Schliesslich hat er seine Präsidentschaft ganz im Zeichen des Kampfes gegen das organisierte Verbrechen begonnen. Letzte Woche hat er auch konkrete Vorschläge dazu gemacht: Er verkündete, ein Hochsicherheitsgefängnis im Amazonasgebiet zu bauen und weitere Gangster auf Gefängnisschiffen auf hoher See unterzubringen.
Zudem plant er – ganz nach dem Vorbild Mexikos und Kolumbiens – eine Volksabstimmung, die ihm erlauben soll, Gangster in die USA auszuliefern. Die Massnahme gilt als eine der effektivsten, aber auch umstrittensten im Kampf gegen die Kartelle – nichts fürchten Lateinamerikas Gangster so sehr, wie die USA. Dort haben sie keinerlei Macht.
Warum die US-Regierung mitmischt
Und auch die US-Regierung unter Demokrat Joe Biden (81) hat grosses Interesse daran, die Gewalt im Zusammenhang mit den mächtigen Drogenkartellen in Lateinamerika schnellstmöglich einzudämmen: Die Gewalt – in Verbindung mit wirtschaftlicher Not – hat Zehntausende von Ecuadorianern zur Flucht veranlasst. Die Flüchtlinge machen sich typischerweise auf den Weg, über Mexiko in die USA zu gelangen.
Für Biden wäre es ein politischer Albtraum, wenn sich Flüchtlingsströme aus Lateinamerika noch vergrössern würden. Ihm wird vorgeworfen, die Flüchtlingskrise nicht in den Griff zu kriegen – einer seiner Schwachstellen im aktuellen Wahlkampf.
Deshalb kam es auch im September zu einem Treffen zwischen Ecuadors ehemaligem Präsidenten Guillermo Lasso (68) und hochrangigen Beamten der US-Küstenwache und des Verteidigungsministeriums in Washington. Das Ergebnis dieses Treffens waren zwei Statusvereinbarungen, von denen eine die Stationierung von US-Marinesoldaten entlang der ecuadorianischen Küste ermöglicht, während die andere die Landung von US-Landstreitkräften auf ecuadorianischem Boden erlaubt, allerdings nur auf Ersuchen der ecuadorianischen Regierung. All dies mit dem Ziel, die Organisationen des Drogenhandels zu bekämpfen.