Der militärische Konflikt um die libysche Hauptstadt Tripolis ist am Sonntag eskaliert. Während regierungstreue Truppen eine Gegenoffensive starteten, flog die angreifende Libysche Nationale Armee (LNA) unter dem Warlord General Chalifa Haftar nach eigenen Angaben erste Luftangriffe auf einen Vorort. Die Uno forderte eine vorübergehende Waffenruhe, hatte aber keinen Erfolg.
Die LNA-Truppen des abtrünnigen Generals Haftar rücken seit Donnerstag auf die Hauptstadt vor, in der die Einheitsregierung von Ministerpräsident Fajes al-Sarradsch ihren Sitz hat. Diese sprach am Sonntag von mindestens 21 Todesopfern und 27 Verletzten seit dem Beginn der LNA-Offensive. Die LNA ihrerseits meldete den Tod von 14 eigenen Kämpfern.
Offensive und Gegen-Offensive
Als Reaktion auf Haftars Offensive starteten die Regierungstruppen am Sonntag eine Gegenoffensive unter dem Titel Vulkan der Wut. Damit sollten «alle Städte» von «unrechtmässigen Kämpfern befreit» werden, wie der Sprecher der Regierungstruppen, Mohammed Gnunu, in Tripolis mitteilte.
Die LNA teilte unterdessen auf der Facebook-Seite ihres «Medienbüros» mit, sie habe einen ersten Luftangriff auf einen Vorort der Hauptstadt Tripolis geflogen. Am Samstag waren Haftars Einheiten etwa 50 Kilometer südlich von Tripolis aus der Luft angegriffen worden. Das Flugzeug sei in der westlibyschen Stadt Misrata gestartet, erklärte die LNA.
Bürgerkrieg droht
Die Schlacht um Tripolis droht inzwischen zu einem Bürgerkrieg zu eskalieren. Nach einer Pause über Nacht waren die Kämpfe am Sonntagmorgen wieder aufgeflammt. Die Vertretung der Vereinten Nationen in Libyen rief für den Nachmittag (Ortszeit) zu einer zweistündigen Waffenrunde in den Kampfgebieten südlich der Stadt auf.
Ministerpräsident al-Sarradsch hatte Haftar zuvor vor einem «Krieg ohne Gewinner» gewarnt und gesagt, aus zahlreichen Regionen würden zusätzliche Einheiten in der Hauptstadt zusammengezogen.
Es wurde beobachtet, wie mindestens eine bewaffnete Gruppe aus Misrata, die sogenannte Brigade 166, zur Verstärkung kam, um vor Tripolis an der Gegenoffensive gegen die LNA teilzunehmen. Der Sprecher der Gruppe, Chaled Abu Dschasija, sagte, seine Einheit warte nun auf «Befehle, um jegliche feindliche Vorstösse auf Tripolis zurückzuschlagen».
Auch kriegserprobte Kämpfer aus Sentan und aus Sawija, die bereits am Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi beteiligt waren, stiessen hinzu. In Tadschura, einem Vorort rund 30 Kilometer östlich von Tripolis, beobachtete ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP, wie dutzende Militärfahrzeuge, darunter auch Flugabwehrgeschütze, zusammengezogen wurden.
G7 hofft auf Mässigung
Die Gruppe der sieben führenden Industrienationen rief am Wochenende beide Seiten zur Mässigung auf. Die Aussenminister der G7-Staaten forderten bei einem Treffen im französischen Dinard, die Konfliktparteien sollten «alle Aktivitäten und alle Truppenbewegungen auf Tripolis» umgehend beenden.
Die Uno bekräftigte, die Allparteienkonferenz werde wie geplant Mitte April stattfinden. Zu ihr werden in der Stadt Ghadames mehr als hundert Delegierte erwartet, die Termine für Parlaments- und Präsidentschaftswahlen festlegen sollen.
Seit 8 Jahren Chaos
Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 herrscht in Libyen Chaos. Die international anerkannte Sarradsch-Regierung konkurriert seit langem mit einer zweiten Regierung in Ostlibyen, die mit dem 75 Jahre alten General Chalifa Haftar verbunden ist.
Haftar war es in der Vergangenheit gelungen, mit einer Reihe erfolgreicher Militäreinsätze den Osten und grosse Teile des Südens Libyens unter seine Kontrolle zu bringen. Experten halten es aber für möglich, dass er sich mit der Offensive auf Tripolis übernimmt.
Haftar als Schlüsselfigur
Haftar hat sich in den vergangenen Jahren zur einflussreichsten Figur Libyens entwickelt. Er geniesst den Ruf eines Militärs, für den die Politik erst an zweiter Stelle kommt. Einst unterstützte er Gaddafi und gehörte zu dessen Kräften, als dieser 1969 an die Macht kam. Später aber kam es zum Bruch.
Als Haftar 1987 im benachbarten Tschad in Gefangenschaft geriet, liess Gaddafi ihn dort sitzen. Frei kam er mit Hilfe der USA, wo er anschliessend über zwei Jahrzehnte im Exil lebte. Aus der Zeit stammt auch der Vorwurf, ein CIA-Agent zu sein.
Ist Haftar der Richtige?
Nach seiner Rückkehr nach Libyen 2011 versuchte er schon einmal, sich an die Macht zu putschen, scheiterte aber. Zuletzt konnte er aber seinen Einfluss mit einigem Geschick vom Osten des Landes bis weit in den Westen ausdehnen, häufig ohne grossen Widerstand. Dafür setzte er auf ein Bündnis mit lokalen Milizen in einem Land, das in viele Ethnien und Stämme aufgeteilt ist.
Sympathien findet Haftar bei Libyern, die des jahrelangen Chaos überdrüssig sind und auf einen starken Mann hoffen, der das Land regiert und stabilisiert.
Haftar inszeniert sich dabei als Vorkämpfer gegen radikal-islamische Kräfte und kann nicht zuletzt deswegen auf Unterstützung aus dem Ausland zählen, vorneweg aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Sie sehen den General als ihren Mann, um die islamistischen Muslimbrüder zu bekämpfen, die sie zur Terrororganisation erklärt haben.
Gute Kontakte pflegt Haftar zudem zu Saudi-Arabien und Russland, auch Frankreich unterstützt ihn. Zu seinen Truppen gehören Söldner aus dem Tschad und dem Sudan. (SDA)