Dschihadisten erobern Stadt um Stadt
Wieso ist der IS plötzlich wieder so stark?

Mit Palmyra und Ramadi fielen in den vergangenen Tagen gleich zwei Städte in die Hände der IS-Dschihadisten. Befindet sich die Terrormiliz wieder auf dem Vormarsch? Für ETH-Sicherheitsexperte Roland Popp ist klar: Die Stärke des IS hängt mit der Schwäche seiner Gegner zusammen.
Publiziert: 22.05.2015 um 13:24 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:07 Uhr
Von Lea Hartmann

Die Terrormiliz Islamischer Staat feiert den Triumph über die syrische Armee auf seine ganz eigene, äusserst brutale Art und Weise. Nach der Eroberung der Stadt Palmyra im Zentrum Syriens am Mittwoch veröffentlichten die Schlächter im Internet Bilder enthaupteter Menschen. Auf anderen Aufnahmen sind getötete Kinder oder von Leichen übersäte Strassen in der für ihre antiken Ruinen bekannten Stadt zu sehen.

Der Vormarsch in Syrien erfolgt nur wenige Tage, nachdem der IS im Irak die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Ramadi einnehmen konnte. Die Dschihadisten schlugen die irakischen Regierungstruppen am Sonntag in die Flucht. Zudem wurde gestern bekannt, dass der IS mittlerweile die ganze Grenze zwischen Syrien und dem Irak kontrolliert.

Der IS ist wieder auf dem Vormarsch, nachdem er in den letzten Wochen einige Niederlagen einstecken musste. Wie lässt sich dieses Comeback erklären? Ist der IS wirklich wieder erstarkt?  Blick.ch sprach mit Roland Popp vom Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich über die aktuelle Situation im Irak und in Syrien.

Herr Popp, erst konnte der IS Ramadi, nun auch Palmyra erobern. Haben die Dschihadisten wieder an Schlagkraft gewonnen?
Zumindest sind sie nicht so stark geschwächt, wie man das anfangs dachte. So ging man davon aus, dass der IS nach Beginn der Luftschläge durch die von den USA angeführte Militärkoalition nicht mehr in der Lage ist, sein Gebiet weiter auszudehnen. Das war eine Fehleinschätzung – wobei anzumerken ist, dass die beiden jüngsten Erfolge eher mit der Schwäche der jeweiligen Regierungstruppen zu tun haben als mit der Stärke des IS. Wo immer der IS auf Feinde trifft, die entschlossen vorgehen und untereinander nicht gespalten sind, sieht man, dass er schnell Probleme bekommt.

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte steht mit der Eroberung Palmyras nun aber bereits über die Hälfte Syriens unter Kontrolle des IS.
Die Zahl stimmt – allerdings ist ein grosser Teil davon Wüste. Der IS kontrolliert in Syrien keine einzige wichtige Stadt. Während momentan vor allem über die Erfolge der Terrormiliz berichtet wird, ist sie an anderen Fronten auf dem Rückzug und kämpft mit vitalen Problemen. Gegen die Kurden fuhren die Dschihadisten eine massive Niederlage ein, es fehlt an Kampfkraft, Freiwillige kommen kaum noch an die Front. Der IS steht unter erheblichem Druck und es fragt sich, wie lange sie diesem noch standhalten können.

Warum konnte die syrische Armee den Angriff auf Palmyra nicht abwehren?
Sie wurde vom IS wohl überrascht. Die syrischen Regierungstruppen sind militärisch gerade im Norden des Landes beschäftigt, haben gerade erst eine Reihe von Städten an andere Widerstandsgruppen verloren. Palmyra haben sie wahrscheinlich einfach nicht ausreichend verteidigt.

Und wie stehen die Chancen, dass die unter Weltkulturerbe stehende Stadt bald zurückerobert werden kann?
Das ist zumindest denkbar – die Stadt ist für die Energieversorgung Syriens von grosser Wichtigkeit. Zudem liegt Palmyra sehr abgelegen mitten in der Wüste. Nachschub zu organisieren, ist für den IS unter diesen Umständen schwierig. Ausserdem ist die syrische Armee im Besitz von Flugzeugen, der IS hingegen nicht. Theoretisch ein Vorteil.

Warum führt die Militärkoalition unter der Führung der USA denn keine Luftschläge auf die Stellungen der Dschihadisten in Palmyra durch?
Erst einmal glaube ich, dass auch die USA über den Angriff auf die Oasenstadt überrascht waren. Dass sie aber auch jetzt nicht handeln, hat damit zu tun, dass man um jeden Preis die Distanz zur syrischen Regierung wahren will.

Was die Situation im Irak betrifft, so wird befürchtet, dass die Rückeroberung Ramadis den Graben zwischen den Sunniten und Schiiten wieder grösser werden lässt – ein Bürgerkrieg droht. Teilen Sie diese Ängste?
Dass die Regierung unter schiitischer Führung nun schiitische Milizen fernab ihrer Heimat einsetzt, wird den Bürgerkrieg zweifellos anheizen und der Propaganda des IS dienen. Aber man darf nicht vergessen, dass auch viele Sunniten und sunnitische Stämme den IS aktiv bekämpfen. Und die irakische Armee ist offenbar völlig planlos, wirklich kampfstark sind nur Peschmerga und schiitische Milizen. Der Regierung bleibt somit gar nichts anderes übrig, als mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Nun rüsten sie sich für die Schlacht. Panzer und Artillerie-Geschütze werden in Stellungen gebracht, die Truppen sammeln sich. Auch hier die Frage: Inwiefern ist ein rascher Erfolg für die Gegner des IS wahrscheinlich?
Eine unmittelbare Rückeroberung würde mich doch sehr überraschen. Schliesslich waren in Ramadi die besten Spezialkräfte des Landes stationiert – vor dem IS ergriffen sie die Flucht. Der Kampf um Ramadi wird vielmehr seine Zeit dauern. Und zur Folge haben, dass die geplante Rückeroberung von Mossul jetzt wahrscheinlich erst einmal verschoben werden muss.

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