Der Gouverneur Kaliforniens hat den wohl schwierigsten Polit-Job Amerikas. Immer wieder heftige Waldbrände, Erdbeben, Stromausfälle, soziale Unruhen und eine Obdachlosigkeit, die im Land ihresgleichen sucht. Gefühlt jede Woche kommt eine neue Herausforderung auf den höchsten Kalifornier hinzu – und die oft verwöhnten Menschen im Goldstaat sind schwierig zufriedenzustellen.
Gavin Newsom (53) macht seit zwei Jahren diese politische Achterbahnfahrt mit: Vom Liebling zur Hassfigur – und wieder zurück. Jetzt gerade setzt ihm ein handfester Skandal zu: Newsom ist während der Corona-Krise in die Weinfalle getappt!
Überragend gewählt, dann scharf kritisiert
Rückblende: Im November 2018 gelingt dem ehemaligen Bürgermeister von San Francisco bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien einen Erdrutschsieg – Newsom setzt sich gegen seinen Parteikollegen Jerry Brown (82) diskussionslos durch. Der Sunnyboy, der bei vielen Frauen auch wegen seines Aussehens äusserst gut ankommt, hat es an die Spitze des grössten Bundesstaates Amerikas geschafft. Ein Traum gehe in Erfüllung, so Newsom damals.
Doch schnell verspielt sich der Demokrat die Vorschusslorbeeren. Die Linken sind sauer, weil Newsom weder die Obdachlosigkeit noch die steigenden Wohnungspreise unter Kontrolle kriegt. Die Konservativen empören sich über die vielen Regulierungen und Umweltgesetze, die Newsom im ersten Amtsjahr erlässt.
Gavin Newsom wird im Frühling zum Liebling
Als die Coronavirus-Pandemie im März die US-Ostküste und insbesondere New York trifft, handelt Newsom schnell. Als einer der ersten Bundesstaaten erlässt Kalifornien einen Lockdown. Die Massnahmen werden in den kommenden Wochen zusehends verschärft, obwohl die Fallzahlen zu dieser Zeit an der Westküste kaum ansteigen. Seit dem Monat Mai gilt in Kalifornien eine Maskenpflicht im Freien – wer sich nicht daran hält, kann eine Busse von bis zu 1000 Dollar oder eine sechsmonatige Gefängnisstrafe erhalten.
Gavin Newsom ist im Frühling der umjubelte Held. Die rund 40 Millionen Kalifornier hängen ihrem Gouverneur förmlich an den Lippen, seine täglichen Pressekonferenzen erreichen hohe Einschaltquoten. Doch als er im Frühsommer die Massnahmen etwas lockert und Restaurants, Bars und Fitnessstudios ihren Betrieb wieder aufnehmen können, wendet sich das Blatt.
Kalifornien: Vom Musterschüler zum Epizentrum
Kalifornien, im Frühling der Corona-Musterschüler, wird im Juli zum Epizentrum der Pandemie: Lange Autoschlangen bei Corona-Testorten, volle Intensivstationen und ein neuer Lockdown. Der Bundesstaat löst in diesen Tagen auch New York als Spitzenreiter in Sachen Covid-Fällen ab. Newsom wird von links für seine Lockerungsschritte kritisiert, gleichzeitig regt sich immer grösseren Widerstand von rechts und von der lokalen Wirtschaft gegen den neuerlichen Lockdown.
Newsom aber bleibt sich auch in diesem schwierigen Sommer treu. Er wiederholt sich bei seinen täglichen Pressekonferenzen in Sacramento: «Bleiben Sie zu Hause, reduzieren Sie Ihre Kontakte auf ein Minimum.» Das Problem: Kaum jemand hört dem Demokraten noch zu. Die Strände sind längst wieder überfüllt, die Restaurants gut besucht und die privaten Pool-Partys in vollem Gange.
Newsom zieht Notbremse – dritter Lockdown
Weil die Ansteckungszahlen gegen Ende des Sommers im ganzen Land etwas nachlassen und sich die Lage Anfang Herbst beruhigt, lässt Newsom den Städten wieder freie Hand. Zuerst San Diego, bald auch San Francisco und Los Angeles, lockern die Massnahmen erneut. Die Geschichte aber wiederholt sich: Die Corona-Fälle schiessen in die Höhe, Newsom zieht am Montag die Notbremse. Der dritte Lockdown ist Tatsache!
Der Wein-Skandal
Einmal mehr tritt Gavin Newsom zu Wochenbeginn vor die Kameras, bittet die Bevölkerung um Mithilfe und erklärt den neuerlichen Lockdown. Doch da ist der eigentliche Skandal bereits Tatsache: Am Wochenende davor haben mehrere lokale Medien über eine Party berichtet, an der Newsom Anfang November teilgenommen hat. Der Gouverneur ist mit seiner Ehefrau in den Norden gereist und hat den 50. Geburtstag eines Freundes in einem teuren Weinkeller gefeiert – mit mehreren Personen am gleichen Tisch!
«Er predigt seit Monaten Wasser, aber trinkt Wein», ist am Montag in den sozialen Netzwerken zu lesen. Auch Rücktrittsforderungen werden laut. Newsom ist erneut vom Liebling zur Hassfigur geworden – sowohl bei Demokraten wie auch bei Republikanern.
«Wir alle versagen manchmal»
Sacramento, Montag: Newsom beendet seine Rede mit den üblichen Aufforderungen an die Bevölkerung. Dann nimmt er Journalistenfragen entgegen und wird prompt zum Skandal befragt. «Ich habe nicht erwartet, dass so viele Gäste kommen würden», sagt der Gouverneur erst noch ausweichend.
Dann aber wird Newsom deutlich, blickt in die Kameras, bittet die Bevölkerung um Entschuldigung: «Ich habe einen schlimmen Fehler gemacht. Anstatt mich zu setzen, hätte ich aufstehen und zurücklaufen, in mein Auto steigen und zu meinem Haus fahren sollen.» Das werde ihm nicht nochmals passieren, versichert er. «Wir sind alle Menschen, wir alle versagen manchmal», sagt Newsom.
Newsom: Bescheiden und nahbar
Der oft abgehoben wirkende Demokrat gibt sich in diesen Sekunden plötzlich bescheiden und nahbar. Und das scheint dem krisengeschüttelten Newsom gut zu bekommen, wie den Reaktionen und Kommentaren zu entnehmen ist. Ein «Sorry» eines hochrangigen Politikers hat man in Amerika auch schon lange nicht mehr gehört. Mit Donald Trump (74) im Weissen Haus, der seine Wahlniederlage immer noch nicht eingestanden hat, wirkt Newsoms Entschuldigung in diesen Tagen geradezu wohltuend.
Trotz Wein-Skandal befindet sich die Hassfigur Kaliforniens also gerade wieder auf dem aufsteigenden Ast. Aber Gavin Newsom hat spätestens in diesem Jahr mit der Corona-Pandemie gelernt: Der politische Wind dreht in seiner Heimat besonders schnell. Und der dritte Lockdown hat eben erst begonnen.