Drei Anschläge in 73 Tagen
Warum schon wieder Grossbritannien?

Der IS hat sich zum Anschlag in London bekannt. Zeitpunkt und Schauplatz des Anschlags sind nicht zufällig gewählt.
Publiziert: 04.06.2017 um 17:54 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:20 Uhr
Gregory Remez

Gerade erst hatte sich die Lage beruhigt. Die britische Regierung hatte die Terrorwarnstufe von «kritisch» auf «ernst» gesenkt und die Soldaten, die nach dem Manchester-Anschlag aufgeboten wurden, von der Strasse gerufen. 

Nach dem erneuten Attentat auf britischem Boden am Samstagabend, dem dritten in nur 73 Tagen, muss sich die Premierministerin Theresa May (60) nun aber die Frage gefallen lassen: War diese Entscheidung überstürzt?

Denn Zeitpunkt und Schauplatz beim zweiten Londoner Anschlag scheinen bei genauerer Betrachtung der Umstände alles andere als zufällig, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Neuwahlen in Grossbritannien am 8. Juni. 

Aufruf zu «Low Key»-Angriffen

So machen Sicherheitsfachleute darauf aufmerksam, dass die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Tagen zu genau der Art von «Low Key»-Angriffen aufgerufen hat, bei denen Messer oder Fahrzeuge als Waffen benutzt werden – wie schon in Nizza, Stockholm und Berlin. 

Grossbritannien ist zudem neben den USA einer der grössten Akteure im Kampf gegen den islamistischen Terror im Mittleren Osten. Diese Tatsache sowie die grosse Symbolkraft einer Metropole wie London macht das Land für die perfiden Pläne von Dschihadisten besonders attraktiv. Ebenfalls in die Karten spielt ihnen die britische Tradition, wonach nur ein kleiner Teil der Polizisten bewaffnet ist.

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Kirsty Boden ist eines der sieben Opfer des Terroranschlages vom vergangenen Samstag.
Foto: Metropolitan Police

Ein weiterer Faktor: Rund 23'000 potentielle Dschihadis stehen derzeit auf den Listen der britischen Geheimdienste. Rund 3000 davon werden mehr oder weniger scharf beobachtet. Die restlichen 20'000 werden lediglich als «SOIs» (Subjects of Interest) eingestuft. Die vergangenen Terroranschläge wurden jedoch allesamt von ebendiesen «SOIs» ausgeführt. 

Ein Risiko bleibt daher immer – trotz der weitreichenden britischen Überwachungsgesetze, den schärfsten in Europa. Dieses Risiko einzudämmen, gehört für Gesamteuropa zu den wichtigsten politischen wie gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre. 

Die perverse Logik der Islamisten

Der Zeitpunkt des Anschlags kommt zudem aus anderem Grund wenig überraschend. Seit Längerem versucht der IS, gerade während des Fastenmonats Ramadan zu Anschlägen aufzurufen – obwohl Kriege in dieser Zeit eigentlich verboten sind. 

Die Dschihadisten sehen sich damit in der Tradition des Propheten Mohammed, der eine seiner wichtigsten Schlachten im Ramadan geführt hatte. Auch der jüngste Anschlag in London trägt die Handschrift des IS. Bekannt hat sich bislang allerdings noch niemand zu der Tat.

Islamische Extremisten gehen aufgrund der Überlieferungen aus dem Leben des Propheten davon aus, dass ein Märtyrertod im Ramadan den Kämpfern im «Heiligen Krieg» die höchsten und besten Plätze im Paradies beschert.

Einer der blutigsten Anschläge im Ramadan liegt nur etwa ein Jahr zurück: Ende Juni 2016 sprengten sich in der Türkei am Istanbuler Atatürk-Flughafen drei Attentäter in die Luft und rissen 45 Menschen mit in den Tod.

Dann folgte die Horrornacht in Bangladesch, als bei einer Geiselnahme 28 Menschen starben. Schliesslich detonierte im Irak in Bagdad eine gewaltige Autobombe und zerstörte ein Einkaufszentrum. Mehr als 200 Menschen starben.

Folgt man dieser perversen Logik der Islamisten, dann sind weitere Attentate in den nächsten Tagen und Wochen nicht auszuschliessen – in Grossbritannien, aber auch im Rest der Welt.

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