Der Hilferuf über den Notruf 118 geht am Freitag gegen 11.30 Uhr ein. Die Stimme ist schwach. Die Frau spricht Arabisch. Ein Übersetzer hilft den Carabinieri. «Wir sind von einem Mähdrescher erfasst worden», sagt die Frau mit letzter Kraft. «Meine Freundin lebt nicht mehr. Ich bin schwer verletzt.» Dann bricht die Verbindung ab. Vergebens sind die Rückrufe. Das Handy kann in der Kürze nur vage geortet werden. Dann ist der Akku leer.
Die Sonne brennt auf die Felder von San Giuliano. Über 2000 Hektar Landwirtschaft flankieren die Stadtautobahn. Maisfelder, so weit das Auge reicht. Irgendwo da draussen liegen zwei Frauen in ihrem Blut. Schnell ist die Anruferin identifiziert. Sie ist Marokkanerin. Die Familie wird informiert. Sie bestätigt: Die beiden Frauen wollten spazieren gehen. Eine fieberhafte Suche beginnt.
Helikopter und Spürhunde helfen, nach den Frauen zu suchen
Zwei Helikopter steigen auf. Polizei und Feuerwehr durchforsten die riesigen Felder. Spürhunde sind im Einsatz. Auch Männer des Zivilschutzes helfen. Die Staatsanwaltschaft von Lodi (I) versucht derweil, das Handy erneut zu orten. Vergebens.
Es vergehen kostbare 36 Stunden, ehe die Suchtrupps am Samstagabend gegen 19.50 Uhr an die Unglücksstelle kommen. Sie finden zwei Leichen vor. Neben den toten Frauen liegen Decken und ein paar Dosen Bier. Waren die beiden Marokkanerinnen eingeschlafen und hatten den nahenden Mähdrescher nicht gehört? Die genaue Todesursache soll nun eine Obduktion klären.
Maisfelder sind auch Umschlagplatz für den Kokainhandel
Von einer Landmaschine und deren Fahrer fehlen vorerst jede Spur. Hat der Bauer die zwischen den Maisstauden liegenden Frauen nicht gesehen, ihre Schreie nicht gehört? Erst im Laufe des Sonntags wird der Landwirt gefunden. «Ich habe nichts gemerkt», gibt der Mann auf dem Revier zur Protokoll. Bleibt die Frage, was die Frauen am Freitagmittag mitten im Maisfeld zu suchen hatten.
Eines der beiden Opfer ist polizeilich bekannt. Die Frau war schon einmal wegen Raub verurteilt worden. Die andere hat keine Vorstrafen. Die Felder von San Giuliano Milanese sind nicht nur wegen ihrer Mähdrescher gefährlich. Hier werden auch Drogen verkauft. In der Nähe des Leichenfunds ist das Wäldchen Rogoredo, ein bekannter Umschlagplatz für Kokain, wo in den vergangenen Monaten immer wieder Razzien stattfanden.