Don Beyer ist hellwach. Während es in Zürich schon 22 Uhr und dunkel ist, sitzt der Ex-Botschafter und Abgeordnete am späten Nachmittag vor der Computerkamera in seinem Haus in Virginia, dem an Washington D. C. grenzenden und aktuell tief demokratischen Bundesstaat. Kürzlich ist Beyer 70 geworden. «Mein Sohn glaubt ja immer noch, dass er bald meinen Sitz übernehmen kann ...», erzählt der Politiker, der unter Obama als Botschafter in Bern amtete. «Aber ich mache das, solange ich gesund bin und gewählt werde.» Kein Zweifel: Ans Aufhören denkt er nicht.
BLICK: Sie sind 70, Joe Biden 77, Nancy Pelosi 80. Sollten Sie nicht alle längst in Rente sein?
Don Beyer: In der Politik kommt es auf Beziehungen an. Joe Bidens Beziehungen etwa sind exzellent, weil er seit Jahrzehnten mit all den Leuten in Washington arbeitet. Und ein talentierter 45-Jähriger, der mich beerben will, muss erst mal eine ganze Menge aufholen.
Wie fühlt es sich gerade an, Abgeordneter zu sein?
Sehr relevant. Und sehr erfüllend, weil wir an unseren Antworten auf die Corona-Krise arbeiten. So viele Menschen sind gerade arbeitslos oder können ihre Miete nicht mehr bezahlen. Wir müssen dringend Existenzen absichern. Auch wenn viele Wirtschaftsbereiche wie etwa Autoverkäufe und der Immobiliensektor wieder besser laufen, werden die unteren Schichten wirklich, wirklich hart von der Krise getroffen.
Aber Sie zoffen sich mit den Republikanern über das zweite Corona-Hilfspaket.
Die sehr Konservativen fürchten Schulden, sie wollen maximal 500 Milliarden reinpacken. Wir denken eher an viermal so viel.
Also geht es nur um die Höhe?
Das ist nur die Ausrede. Die Summe, die uns Demokraten vorschwebt, ist fast die gleiche, die auch das Weisse Haus und der Präsident im Sinn haben. Aber die wollen sie halt gern für Unternehmen und Steuersenkungen für die Reichen ausgeben. Wir lieber für Arbeitslose, den Staat und Lokalregierungen, die massive Einnahmeverluste haben.
Am Mittwoch will der Senat über ein Hilfspaket abstimmen. Gibt es also bald eine Lösung?
Das glaube ich nicht. Selbst wenn das Weisse Haus einem 1,8 bis zwei Billionen schweren Paket zustimmt, wird der republikanisch dominierte Senat nicht über diese Summe abstimmen. Mitch McConnell (Mehrheitsführer im Senat; Anm. d. Red.) hat das bereits klar gemacht. Ich fürchte, wir müssen auf den Beginn der Biden-Präsidentschaft im Januar warten.
Sie klingen optimistisch!
Wenn ich mir die grossen Umfragen anschaue, hat Biden praktisch eine 99-prozentige Chance, am meisten Stimmen zu bekommen. Das Wahlleute-System erschwert die Sache natürlich – aber trotzdem.
Sie haben eigentlich den liberalen Kandidaten Pete Buttigieg enthusiastisch unterstützt. Sind Sie nun genauso enthusiastisch für Biden?
Na klar! Wissen Sie, Pete ist so aussergewöhnlich smart und seine Fähigkeit, Dinge einfach und klar zu erklären, ist einfach umwerfend. Aber er ist auch erst 38 Jahre alt. Und die Stadt, in der er Bürgermeister war, ist quasi nur so gross wie Bern. Demgegenüber hat Joe 40 Jahre politische Erfahrung in Washington. Pete wird eines Tages Präsident sein. Aber ich bin sehr glücklich, dass es jetzt erst mal Joe wird. Vermutlich ist er unsere beste Chance, das Land zu «heilen». Es war schon unter Obama über die Rassenfrage so gespalten und Trump ist der erste Präsident, der versucht hat, uns noch mehr auseinanderzutreiben. Das ist seine politische Strategie. Jeder andere Präsident – egal ob Demokrat oder Republikaner – würde versuchen, uns zusammenzubringen. Und Joe ist der Beste für den Job.
Wie kann Biden die Herzen der Republikaner denn gewinnen?
Ganz viele wenden sich ihm schon jetzt deshalb zu, weil sie Trump nicht mögen. Denken Sie an das Lincoln-Projekt. Oder Rudy Giulianis Tochter. Viele mögen Joe, auch wenn sie nicht mit allen seinen politischen Linien übereinstimmen. Und er ist ja auch sehr moderat, kein Sozialdemokrat wie Alexandria Ocasio-Cortez oder Bernie Sanders. Er ist integer, versucht Menschen zusammenzubringen und eine Politik zu machen, der die meisten zustimmen können. Ich glaube wirklich, wir können es mit Joe ändern, dass die Leute so negativ über Washington denken und dass wir eh nichts gebacken bekommen.
Aber ist das nicht vor allem ein Problem des gespaltenen Kongresses?
Ja. Gerade braucht es 60 Stimmen im Senat, um irgendwas durchzubekommen – das müssen wir abschaffen. In einem tief gespaltenen Land gibts sonst nie eine Mehrheit. Wir haben im Repräsentantenhaus etwa 500 Gesetzesvorlagen beschlossen, die an Mitch McConnell gescheitert sind.
Wenn man sich den Polit-Zirkus von aussen anschaut, hat man immer das Gefühl: Sie und die Republikaner hassen sich wirklich.
Ein paar Knallköpfe wie Matt Gaetz oder Louie Gohmert gibts natürlich. Aber ich würde sagen: Von den 435 Abgeordneten im Haus sind mehr als 400 easy drauf und reden freundlich miteinander. Wir sagen uns Hallo, wissen die Namen von Ehepartnern und Kindern. Ich führe eine lange Liste mit republikanischen Freunden, gerade stehen etwa 85 drauf. Immer wenn ich nahe an die 100 komme, gehen leider wieder welche in Rente (lacht).
Unter Trump hatte die Schweiz einen ziemlich leichten Zugang zum Weissen Haus.
Ja, dafür hat auch Ed McMullen gesorgt. Noch so ein republikanischer Freund übrigens! Er hatte natürlich auch das Glück, dass nicht – wie bei Suzi LeVine, meiner Vorgängerin, und mir – der Steuerstreit alles dominiert hat.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen den USA und der Schweiz heute?
Es ist ziemlich gut, würde ich sagen. Die Amerikaner haben enormen Respekt davor, wie gut die Schweiz funktioniert. Und jeder reist natürlich gerne hin, weil es so glamourös ist. Ich habe mich immer sehr für ein Freihandelsabkommen starkgemacht, dafür war die Trump-Regierung auch sehr offen – hat dann aber viel zu stark auf China, Nafta und so fokussiert. Unter Biden wenden wir uns hoffentlich wieder mehr Europa zu.
Macht Biden ein Freihandelsabkommen mit der Schweiz zur Priorität?
Nein, das wird nie Priorität haben. Ich hoffe einfach, dass man es mittelfristig nicht aus den Augen verliert.
Donald Sternoff Beyer Jr. kam 1950 in Italien als Sohn eines US-Soldaten zur Welt. In den 1980er-Jahren stieg er in den elterlichen Automobilhandel ein. 2009 ernannte der damalige US-Präsident Barack Obama den Demokraten zum Botschafter der USA in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. 2013 verliess Beyer diesen Posten. Im Jahr darauf wählten ihn die Bürger seines Distrikts im Bundesstaat Virginia in den Kongress.
Donald Sternoff Beyer Jr. kam 1950 in Italien als Sohn eines US-Soldaten zur Welt. In den 1980er-Jahren stieg er in den elterlichen Automobilhandel ein. 2009 ernannte der damalige US-Präsident Barack Obama den Demokraten zum Botschafter der USA in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. 2013 verliess Beyer diesen Posten. Im Jahr darauf wählten ihn die Bürger seines Distrikts im Bundesstaat Virginia in den Kongress.