Diese 9 Protestbewegungen kämpfen für mehr Demokratie
Darum brennt die Welt!

Hongkong, Libanon, Bolivien: Weltweit gehen zurzeit Menschen auf die Strasse. Warum?
Publiziert: 02.12.2019 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2019 um 10:22 Uhr
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Im Irak entzündete sich der Protest an der schwachen Wirtschaft.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Die Wütenden sind Iraner, Chilenen, Libanesen. Sie leben in der chinesischen Zeitzone, südlich des Äquators oder in Europa. Doch eines haben die Demonstranten von Hongkong über Malta bis Kolumbien gemeinsam: Sie wollen den Korrupten und den Autokraten an den Kragen. Dafür ziehen Menschen weltweit gerade auf die Strasse, und zwar seit Monaten.

«Die Bewegungen entstehen oder wachsen oft mit einem konkreten Ziel – in Hongkong ist dies das Auslieferungsgesetz, im Libanon die Whatsapp-Steuer», erklärt der Marburger Protestforscher Tareq Sydiq. Knicken die Regierungen ein, ist zwar das unmittelbare Ziel erreicht, doch die Bewegung erst am Anfang. Forscher wie Sydiq beobachten auf allen Kontinenten dasselbe Phänomen: Ist die Bewegung gross genug, werden weitere Forderungen erhoben. «Und die sind sich ähnlich: Demokratie, Bürgerrechte, keine Korruption in der Verwaltung, die Einhaltung von Menschenrechten, aber auch soziale Fragen wie die Verteilung von Reichtum oder die wirtschaftliche Lage.»

Zehn Jahre nach der Finanzkrise bilden sich derzeit erneut widerstandsfähige Protestbewegungen. Während die regierungskritischen Proteste in Algerien, Hongkong und im Irak bereits seit Monaten laufen, geht es auf dem südamerikanischen Kontinent, im Iran und Libanon seit Oktober rund. Auch Europa bleibt vom Protest-Herbst nicht verschont: Am vergangenen Wochenende kam Malta dazu.

Es ist nicht das erste Mal, dass mehrere Demokratiebewegungen gleichzeitig gross werden. Ähnliches passierte auch beim Arabischen Frühling – nicht nur steckte der Protest in Tunesien die arabischen Nachbarn an, sondern zeitgleich gab es auch Occupy Wall Street oder die Anti-Austeritäts-Proteste in Spanien, Griechenland und Italien. Die Verbindungen werden von der Forschung bislang kaum beachtet – von den Demonstranten selbst dafür umso mehr. Sie schauen, was die anderen machen, und lernen voneinander. Protestforscher Sydiq: «So setzen sie auch immer weniger auf zentrale Protest-Orte. In Hongkong beispielsweise wird das sehr strategisch gemacht, um Repressionen auszuweichen.»

Bei den aktuell neun grössten Bewegungen zeigt sich, dass der Protest jeweils lokale Anlässe und Strukturen hat. «Im Irak entzündete sich der Protest an einem militärischen Konflikt, in Chile gibt es eine Demokratie und Hongkong ist sehr autoritär», so Experte Sydiq. «Will die Politik die Protestbewegungen beenden, muss sie in der Anfangsphase deeskalieren. Die Protestierenden an den Tisch holen und ihnen das Gefühl geben, ernst genommen zu werden.» Erfolgreich war darin jüngst Emmanuel Macron (41). Dem französischen Präsidenten gelang es, die Gelbwesten in den politischen Prozess einzubinden, nachdem sie das Land Ende 2018 über Wochen in Atem gehalten hatten.

1. Hongkong

Start: Juni 2019
Auslöser: Auslieferungsgesetz

Die seit Monaten andauernden Proteste in Hongkong richten sich gegen die Regierung, das als brutal empfundene Vorgehen der Polizei und den wachsenden Einfluss der kommunistischen Pekinger Führung. Rund um die Bezirksratswahl Ende November, bei der das demokratische Lager rund 86 Prozent der Sitze gewann, war eine Woche Ruhe in der chinesischen Sonderverwaltungszone – doch schon am ersten Adventswochenende krachten Polizei und Demonstranten wieder aufeinander. Und der Konflikt könnte sich global auswirken: Seit sich US-Präsident Donald Trump (73) mit zwei Gesetzen hinter die Demokratiebewegung gestellt hat, kocht sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping (66) – und mit ihm der Handelskrieg. China hat Sanktionen gegen die USA verhängt. «Ab sofort» dürfen US-Kriegsschiffe in Hongkong keinen Zwischenhalt mehr einlegen, zudem sind Strafmassnahmen gegen US-Organisationen in Arbeit.

2. Iran

Start: November 2019
Auslöser: Höhere Benzinpreise

Im Iran gibt es regelmässig Proteste – neu aufgeflammt ist der Protest Mitte November wegen gestiegener Spritpreise, die vor allem die einkommensschwache Bevölkerung treffen. Weil das Land unter den US-Sanktionen leidet, dürfen Iraner neuerdings nur noch 60 Liter Benzin im Monat kaufen, jeder weitere Liter kostet das Dreifache. Die Proteste sind äusserst blutig. Amnesty International befürchtet, dass es bereits mindestens 100 Tote gibt.

3. Libanon

Start: Oktober 2019
Auslöser: Whatsapp-Steuer

Die wichtigsten Strassen im Land sind unpassierbar, die Einkaufsstrasse in der pulsierenden Metropole Beirut menschenleer: Der friedliche Protest legte im Oktober den kleinen Libanon regelrecht still. Ende Oktober verkündete Premierminister Saad Hariri (49) den Rücktritt seiner Regierung. Das reicht den Protestierenden nicht. Sie fordern die gesamte politische Elite zum Rücktritt auf, wie etwa den Parlamentssprecher und den Staatschef. Ende November kam es bei der Auseinandersetzung erstmals zu Gewalt.

4. Malta

Start: November 2019
Auslöser: Mord an Journalistin und Korruption

Was für Bilder: Tausende Menschen protestieren auf den Strassen des kleinsten EU-Landes. Am Freitagabend versammelte sich die Menge in der maltesischen Hauptstadt Valletta, lautstark verlangte sie den Rücktritt von Regierungschef Joseph Muscat (45). Der Mann mit dem delikaten Namen gab dem Druck nach und kündigte für Januar seinen Rücktritt an, nachdem wütende Demonstranten auch am Sonntag wieder «Mörder» und «Weg mit euch!» riefen. Die Demonstranten werfen der Führung ihres Landes Korruption und Vertuschung rund um den Mord an der Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia (†53) vor.

5. Chile

Start: Oktober 2019
Auslöser: Kostensteigerungen im öffentlichen Dienst

Die anhaltende Krise in Chile ist die schwerste seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1990. Die Demonstranten kritisieren soziale und wirtschaftliche Ungleichheit sowie die Macht der herrschenden Elite. Seit dem Beginn der Unruhen in dem südamerikanischen Land wurden 22 Menschen getötet und Tausende verletzt. Seit Ende Oktober wurden knapp 1100 Ermittlungsverfahren wegen Vorwürfen der Polizeigewalt eingeleitet.

6. Bolivien

Start: Oktober 2019
Auslöser: Wahlmanipulation

Boliviens Staatschef Evo Morales (60) wollte ein drittes Mal zur Wahl antreten, obwohl die Verfassung höchstens eine Wiederwahl vorsieht. Mit Hilfe der Justiz, die die Begrenzung der Amtszeiten als Verletzung seiner Menschenrechte bezeichnete, überwand er diese Hürde. Nach wochenlangen Protesten musste der Ex-Kokabauer jedoch zurücktreten und floh ins Exil nach Mexiko. Morales' Unterstützer protestieren gegen den Rücktritt.

7. Kolumbien

Start: November 2019
Auslöser: Sozial- und Sicherheitspolitik der Regierung

Nach Chile und Bolivien brodelt es nun auch in Kolumbien. Seit Ende November protestieren Zehntausende Kolumbianer gegen geplante Arbeitsmarkt- und Rentenreformen sowie zunehmende Gewalt gegen soziale Aktivisten. Am Rande der Proteste kam es in dem südamerikanischen Land zu gewalttätigen Ausschreitungen und Plünderungen. Präsident Ivan Duque (43) kündigte nach den Verhandlungen mit den Gewerkschaften eine Reihe von Massnahmen an.

8. Irak

Start: Juli 2018
Auslöser: Wirtschaftskrise

Seit vergangenem Jahr knallt es immer wieder im kriselnden Irak. Anfang Oktober formierte sich die Protestbewegung erneut gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit im Land. Trotz der Gewalteskalation und nächtlicher Ausgangssperren gehen die Iraker weiterhin auf die Strasse und fordern mittlerweile den Sturz der Regierung. Ihre Wut richtet sich auch gegen den benachbarten Iran.

9. Algerien

Start: Februar 2019
Auslöser: Wahlen

Der langjährige Präsident Abdelaziz Bouteflika (82) konnte nicht genug bekommen: Ein fünftes Mal wollte er bei den Präsidentschaftswahlen antreten. Nach wochenlangen Protesten gab er sich im April geschlagen. Für Mitte Dezember sind Wahlen geplant. Die Demonstranten gingen dagegen vergangene Woche bereits den 41. Freitag in Folge auf die Strasse. In der Hauptstadt Algier und weiteren Orten des nordafrikanischen Landes kam es zu Massenprotesten.

Die Symbole des Protests

In der Schweiz verboten, in anderen Ländern notwendig: Wo Protestierende keinen fairen Prozess erwarten können, schützen sie ihre Anonymität mit Masken und Schminke. BLICK erklärt die wichtigsten Symbole des Widerstands.

Guy Fawkes: Der katholische Offizier mit dem markanten Zwirbelbart wollte am 5. November 1605 das britische Parlament und König Jakob I. in die Luft sprengen. Fawkes scheiterte zwar, ist heute aber Symbol für den Kampf gegen Autoritäten – etwa beim Internetkollektiv Anonymous oder den Occupy-Wall-Street-Protesten.

Winnie Puuh: Der gemütliche Bär ärgert Chinas Präsidenten – und wird deswegen von Hongkongs Protestierenden zweckentfremdet. 2013 ging ein satirisches Foto von Staatspräsident Xi Jinping mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama in China viral. Das Bild stellte die beiden Politiker Winnie Puuh und seinem Freund Tigger gegenüber. Seither hat die Zensurbehörde die Comicfigur fest im Blick. Der Film «Christopher Robin» (2018), in dem Winnie Puuh vorkommt, wurde darum in chinesischen Kinos nicht gezeigt.

Joker: Der Bösewicht aus dem DC-Universum schaffte es von der Leinwand auf die Strassen. Im 2019 erschienenen Film sagt der ausgegrenzte Komiker der herrschenden Klasse den Kampf an. Seine Wut schlägt in Gewalt um. Protestierende identifizieren sich mit der Isolierung dieses Charakters. «Wir sind alle Clowns», steht auf einem Graffito, das während der Proteste im chilenischen Los Angeles gesprüht wurde.

In der Schweiz verboten, in anderen Ländern notwendig: Wo Protestierende keinen fairen Prozess erwarten können, schützen sie ihre Anonymität mit Masken und Schminke. BLICK erklärt die wichtigsten Symbole des Widerstands.

Guy Fawkes: Der katholische Offizier mit dem markanten Zwirbelbart wollte am 5. November 1605 das britische Parlament und König Jakob I. in die Luft sprengen. Fawkes scheiterte zwar, ist heute aber Symbol für den Kampf gegen Autoritäten – etwa beim Internetkollektiv Anonymous oder den Occupy-Wall-Street-Protesten.

Winnie Puuh: Der gemütliche Bär ärgert Chinas Präsidenten – und wird deswegen von Hongkongs Protestierenden zweckentfremdet. 2013 ging ein satirisches Foto von Staatspräsident Xi Jinping mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama in China viral. Das Bild stellte die beiden Politiker Winnie Puuh und seinem Freund Tigger gegenüber. Seither hat die Zensurbehörde die Comicfigur fest im Blick. Der Film «Christopher Robin» (2018), in dem Winnie Puuh vorkommt, wurde darum in chinesischen Kinos nicht gezeigt.

Joker: Der Bösewicht aus dem DC-Universum schaffte es von der Leinwand auf die Strassen. Im 2019 erschienenen Film sagt der ausgegrenzte Komiker der herrschenden Klasse den Kampf an. Seine Wut schlägt in Gewalt um. Protestierende identifizieren sich mit der Isolierung dieses Charakters. «Wir sind alle Clowns», steht auf einem Graffito, das während der Proteste im chilenischen Los Angeles gesprüht wurde.

So viel haben frühere Revolten bewirkt

Sie gehen auf die Strasse, stellen Forderungen, beherrschen wochenlang die Schlagzeilen. Und dann plötzlich: nichts. Viele Protestbewegungen scheinen genauso schnell zu verschwinden, wie sie entstanden sind.

Das wurde aus den wichtigsten Bewegungen der vergangenen Jahre:

Gelbwesten: Vor einem Jahr ging es auf Frankreichs Strassen rund. Zu Spitzenzeiten protestierten knapp 300'000 Teilnehmer gegen eine geplante Dieselsteuer. Der Protest schwappte auf andere Länder über, auch in der Schweiz gab es Ableger. Staatschef Emmanuel Macron (41) senkte als Reaktion die Einkommenssteuer und erhöhte den Mindestlohn. Ihr Hauptziel haben die Gelbwesten jedoch nicht erreicht: Macrons Rücktritt. Beim ersten Jahrestag kam es zu Ausschreitungen.

Anti-Waffen-Protest: Nach dem Schulmassaker von Parkland am 14. Februar 2018 erlebten die USA die grössten Anti-Waffen-Proteste seit Jahrzehnten. Die Teenager von Parkland organisierten mit beeindruckendem Engagement den gigantischen March For Our Lives (Marsch fürs Leben). An der Hauptveranstaltung in Washington nahmen Hunderttausende teil. Als Reaktion wurden Bump Stocks, halb automatische Gewehre, verboten.

Arabischer Frühling: In Tunesien ging es mit der Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers im Dezember 2010 los. Massenunruhen erfassten zahlreiche arabische Länder – und gingen als Arabischer Frühling in die Geschichte ein. In Marokko und Jordanien gab es Reformen. In Tunesien, Ägypten, Libyen und im Jemen stürzten die Machthaber. Doch die Hoffnung auf echten Wandel wurde in fast allen Ländern enttäuscht. In Syrien brach gar ein Bürgerkrieg aus.

Sie gehen auf die Strasse, stellen Forderungen, beherrschen wochenlang die Schlagzeilen. Und dann plötzlich: nichts. Viele Protestbewegungen scheinen genauso schnell zu verschwinden, wie sie entstanden sind.

Das wurde aus den wichtigsten Bewegungen der vergangenen Jahre:

Gelbwesten: Vor einem Jahr ging es auf Frankreichs Strassen rund. Zu Spitzenzeiten protestierten knapp 300'000 Teilnehmer gegen eine geplante Dieselsteuer. Der Protest schwappte auf andere Länder über, auch in der Schweiz gab es Ableger. Staatschef Emmanuel Macron (41) senkte als Reaktion die Einkommenssteuer und erhöhte den Mindestlohn. Ihr Hauptziel haben die Gelbwesten jedoch nicht erreicht: Macrons Rücktritt. Beim ersten Jahrestag kam es zu Ausschreitungen.

Anti-Waffen-Protest: Nach dem Schulmassaker von Parkland am 14. Februar 2018 erlebten die USA die grössten Anti-Waffen-Proteste seit Jahrzehnten. Die Teenager von Parkland organisierten mit beeindruckendem Engagement den gigantischen March For Our Lives (Marsch fürs Leben). An der Hauptveranstaltung in Washington nahmen Hunderttausende teil. Als Reaktion wurden Bump Stocks, halb automatische Gewehre, verboten.

Arabischer Frühling: In Tunesien ging es mit der Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers im Dezember 2010 los. Massenunruhen erfassten zahlreiche arabische Länder – und gingen als Arabischer Frühling in die Geschichte ein. In Marokko und Jordanien gab es Reformen. In Tunesien, Ägypten, Libyen und im Jemen stürzten die Machthaber. Doch die Hoffnung auf echten Wandel wurde in fast allen Ländern enttäuscht. In Syrien brach gar ein Bürgerkrieg aus.

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