Die Vergangenheit holt die Türkei immer wieder ein
Reizwort Armenier, Streitpunkt Völkermord

Am 2. Juni 2016 beschloss der Deutsche Bundestag den Massenmord an den Armeniern als Völkermord zu bezeichnen. Doch die heutige Türkei sieht das klar anders.
Publiziert: 16.10.2016 um 14:58 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 20:14 Uhr
Deportation: Zwischen 800'000 bis 1,5 Millionen Armenier starben.
Foto: KEYSTONE
Guido Felder

Die Diskussion um den Massenmord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg stösst den Türken sauer auf. Ihre Empörung war gross, als der Deutsche Bundestag am 2. Juni 2016 bei ­einer Gegenstimme und einer Enthaltung beschloss, das monströse Verbrechen als Völkermord zu bezeichnen. Die Türkei rief ihren Botschafter in Berlin zurück.

Die Bundesregierung versuchte zu schlichten, um den Nato-Partner Türkei nicht zu verärgern: Es sei nicht ihr Entscheid, sondern jener des Parlaments. Kanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Aussenminister Frank-Walter Steinmeier waren der Debatte ferngeblieben.

Der Massenmord forderte in den Jahren 1915 und 1916 je nach Schätzung zwischen 800'000 und 1,5 Millionen Tote. Der Hintergrund: Die türkischen Behörden hatten in Istanbul die gesamte Führungsschicht des armenischen Volkes verhaftet, Politiker, Priester, Kulturschaffende. Die osmanische Führung warf der christlichen Minderheit vor, mit dem Feind Russland zu kollaborieren. Bald darauf begannen Vertreibung und Vernichtung.

Länder wie Frankreich, Österreich, Schweden und auch der Vatikan stufen den Massenmord als Völkermord ein. Auch der Schweizer Nationalrat hat ihn 2003 als Völkermord anerkannt. Die USA tun sich schwer, weil sie die Türkei als Nato-Partner brauchen. Die Europäische Union erklärte: Den EU-Beitritt gibt es nur, wenn die Türkei den Völkermord anerkennt.

Für die heutige Türkei ist das Massaker kein Völkermord. Im Geschichtsunterricht wird den Kindern beigebracht, dass aufständische Armenier umgesiedelt werden mussten, um die anderen Armenier zu schützen.

Völkermord ist laut den Vereinten Nationen ein Straftatbestand im Völkerrecht, der nie verjährt. Weil er die Vernichtung einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe zum Ziel hat, gilt er als «das Verbrechen der Verbrechen».

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