Das Land ist arm, es besteht zu drei Vierteln aus teilweise schwer zugänglichen Gebirgen, und es herrscht Wassermangel. Und dennoch haben die Grossmächte enormes Interesse am Vielvölkerstaat Afghanistan, der 16-mal so gross ist wie die Schweiz. Warum?
Es ist die Lage! Von Afghanistan aus lässt sich der undurchsichtige und nuklear bewaffnete Nachbar Pakistan mit seinen extremistischen Gruppen beobachten. Im Westen befindet sich der ölreiche Iran, auch ihn will man wegen seines Atomprogramms unter Kontrolle halten. Im Osten grenzt der ebenfalls atomar gerüstete Wirtschaftsriese China ans Land. Nördlich liegen die zentralasiatischen Republiken mit gigantischen Gas- und Ölvorkommen, die durch Afghanistan zum Indischen Ozean geleitet werden könnten.
Der deutsche USA- und Afghanistan-Experte Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin fasst zusammen: «Afghanistan ist wegen seiner Lage zum Dreh- und Angelpunkt der Weltpolitik geworden.»
Der König brachte die Demokratie
Die Geschichte Afghanistans ist höchst bewegt. Schon 1838 stritten die russischen und britischen Kolonialmächte wegen der Handelsrouten um das Land. Es folgten die drei blutigen Anglo-Afghanischen Kriege, die mit einer Niederlage der Briten und 1919 mit der Unabhängigkeit Afghanistans endeten. Nicht umsonst heisst das umkämpfte Land seit diesen Kriegen auch Graveyard of Empires – Friedhof der Grossmächte.
Es folgte ein Aufatmen, als König Mohammed Zahir Schah (1914–2007) während seiner 40-jährigen Amtszeit die demokratische Wende einläutete. Afghanistan wurde zu einem modernen Staat mit einem Parlament. Sogar Frauen durften wählen!
Fernduell zwischen den USA und den Sowjets
Doch nach mehreren Regierungsumstürzen kamen 1978 die von der Sowjetunion unterstützten Kommunisten an die Macht. Als ein Jahr später auch noch sowjetische Truppen einmarschierten, kam es zum internationalen Konflikt: Auf der einen Seite standen die Sowjets mit ihren afghanischen Verbündeten und auf der anderen Seite die von den USA unterstützten Mudschaheddin-Gruppen.
Als die Russen scheiterten und sich 1989 zurückzogen, stürzten die Mudschaheddin die kommunistische Regierung unter Präsident Mohammed Nadschibullah (1947–1996). Da auch die Amerikaner ihr Engagement fallen liessen, bildete sich im Land ein grosses Machtvakuum. Es kam zu ethnischen Konflikten, viele Gebiete verfielen in Anarchie. Plünderungen und Gewalt waren an der Tagesordnung.
Mit den Taliban ins Elend
Zu diesem Zeitpunkt entstanden die Taliban, die die Scharia einführten und von den USA unterstützt wurden. Ihre Schreckensherrschaft stürzte das eben noch so moderne Land weiter in die Misere. Den Frauen wurde die Burka aufgezwungen, sie hatten nichts mehr zu sagen. Handel und Wirtschaft kamen zum Erliegen, das Land geriet ins Abseits.
Afghanistan wurde immer mehr zum Terrorstaat: Er bot Osama Bin Laden (1957–2011) und dessen Terrororganisation Al Kaida Unterschlupf. Als die USA das Land nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York aufforderten, den Terrorfürsten auszuliefern, weigerte sich die Taliban-Regierung. Als Reaktion marschierten die Amerikaner in Afghanistan ein. Einmal mehr wurde das Land zum Kriegsschauplatz.
Nur schon Stabilisierung wäre Erfolg
Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Experte Michael Paul ist überzeugt: «Afghanistan wird auf Jahre hinaus eine Problemzone bleiben.» Auch wenn Donald Trump (71) das US-Engagement im Land verstärkt, wird er kaum einen Sieg erringen können. Paul: «Aber nur schon eine Stabilisierung des Landes durch die Eindämmung der Taliban wäre ein Erfolg.»
Trump hatte diese Woche angekündigt, die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan zu erhöhen. Der afghanische Präsident Aschraf Ghani (68) reagierte erfreut und warnte am Mittwoch in der Hauptstadt Kabul die Taliban: «Unser Feind versteht nun, dass die Unterstützung unserer internationalen Partner keine zeitliche Grenze hat.» Die Taliban sollten ihre Hoffnung auf einen Sieg aufgeben, ihren bewaffneten Widerstand beenden und sich an Friedensgesprächen beteiligen.