Die traurige Welt der «Incels»
Frauen sind schuld. An allem.

Eine neues Buch erklärt ein Internetphänomen. Warum sogenannte Incels so gefährlich sind. Und warum es mehr von ihnen gibt, als wir bisher dachten.
Publiziert: 01.03.2020 um 11:38 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2020 um 11:41 Uhr
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Trauer für die Ermordeten von Hanau. Der Täter war nicht nur fremdenfeindlich, er suchte auch jahrzehntelang verzweifelt eine Frau.
Foto: DUKAS
Silvia Tschui

Mädchen sind sexuell nicht interessiert an mir», sagt ein junger Mann im Mai 2014 in die Kamera, «das ist ein grosses Problem. Morgen übe ich Rache». Elliot Rodger, der 22-jährige, gut aussehende Sohn eines Hollywood-Filmregisseurs, erschiesst am Tag danach zwei junge Frauen und ermordet vier junge Männer, die er als attraktiver als sich selber einstuft.

Es ist der erste Amoklauf, der im Internet explizit aus Frauenhass und sexueller Frustration angekündigt und umgesetzt wird. Es bleibt nicht der letzte. Auch der norwegische Massenmörder Anders Breivik (41) war ein Frauenhasser. Und Tobias R. (43)*, Täter des Amoklaufs in Hanau (D), berichtet in seinem Manifest ausführlich darüber, wie jämmerlich erfolglos seine jahrzehntelange Suche nach einer Frau gewesen sei.

Junge, frustierte Männer, die keinen Sex bekommen

Was treibt Männer dazu, Frauen so zu hassen? Ein Blick in eine gefährliche Internet-Subkultur bringt Erschreckendes zutage. Es wäre in seiner Absurdität sogar lustig, wenn es nicht so bitterernst wäre. Kleine Warnung: In diesem Artikel wird es bald von nicht jugendfreien Wörtern nur so wimmeln. Denn ein Blick in diese Internet-Foren ist schlimmer als ein Blick ins Güllenloch.

Incels – also Involuntary Celibates (unfreiwillig Zölibatäre) nennen sich vornehmlich junge, frustrierte Männer, die sich in Internetforen in einer eigenen Sprache darüber austauschen, dass sie keinen Sex bekommen. Was natürlich an den Frauen liegt. Denn die, so ist das gängige Bild, das über Foren wie Reddit, 8chan und viele andere, auch deutschsprachige, verbreitet und bestärkt wird, sind nur an 20 Prozent aller Männer interessiert – an sogenannten Chads.

Ein Chad ist das Klischeebild eines potenten Mannes: gross, mit kräftigem Kiefer, erfolgreich. Ihm laufen alle Frauen und Mädchen hinterher, um – ich bitte um Verzeihung, das ist ein wiederkehrender Begriff – das «Schwanzkarussell zu reiten». Kein Wunder, denken Incels, dass so für Nicht-Chads nichts übrig bleibt.

Frauen sind für diese Männer geldgeile Roboter

Frauen heissen Foid – eine Abkürzung von Femoid, was von And- roid stammt, einem menschenähnlichen Roboter. Sie alle wollen Geld von Männern. Jede Frau ist also eine Prostituierte, weshalb sie es auch verdient hat, vergewaltigt und gequält zu werden.

Incels tauschen zur Ergötzung und Selbstbefriedigung denn auch rege Bilder von übelst misshandelten Frauen und Mädchen aus. Es gibt sogar ein Wort dafür: Lifefuel, also Lebenstreibstoff. Sexuell aktive Frauen heissen Roasties. Weil ihre Schamlippen vom vielen Sex mit Chads so ausgeleiert seien, dass sie wie Roastbeef aussähen.

Das ideale Frauenbild sieht gemäss eines Posts auf reddit so aus: unter 18, Jungfrau, weiss, trägt kein Make-up, akzeptiert, geschlagen zu werden, hat ein niedliches Gesicht, hat keinen Kontakt mit anderen Männern, sucht aber Kontakt zu anderen Frauen, um Dreier zu organisieren, ist devot und hat eine Vagina, die nach Sahne und Beeren riecht. Das ideale Alter liegt gemäss diversen Posts unter 16 Jahren. Es ist naheliegend, dass Incels auch Kinderpornografie glorifi- zieren.

Incels sähen sich ständig in der Opferrolle

Trotz dieser völlig unrealistischen, oberflächlichen und realitätsbefreiten Beurteilung von Frauen sähen Incels sich ständig in der Opferrolle, sagt die deutsche Publizistin Veronika Kracher (30). Die Soziologin und Journalistin hat sich jahrelang mit dem Phänomen beschäftigt, heute erscheint ihr Buch «Incels».

«Incels lamentieren ständig über die Oberflächlichkeit von Frauen», sagt Kracher, «gleichzeitig sind sie selbst obsessiv mit ihrem vermeintlich ungenügenden Aussehen beschäftigt. Das ist natürlich einfacher, als sich zu fragen, ob man an seiner Persönlichkeit etwas ändern müsste, um für das andere Geschlecht attraktiv zu sein.»

Kracher stellt auch einen Bezug zu rechtsradikalen Kreisen und der Alt-Right-Szene her und erhält dafür Morddrohungen. «Für Incels ist der Feminismus und die Selbstverwirklichung der Frauen daran schuld, dass sie keinen Sex bekommen. Also sind Frauenrechte und Gleichstellungsbemühungen für Incels per se des Teufels», erklärt sie in diversen Vorträgen. Ein ähnliches Gedankenbild herrscht in gewissen rechten Kreisen, wo die Frau sich traditionell um Kinder und Küche kümmern soll.

Es gibt deshalb auch eine fast natürliche Überschneidung von Frauenhass, Selbstmitleidsgesuhle und Rassismus: Weil Immigranten als potenter als man selber wahrgenommen werden, sind sie schuld daran, dass nicht genügend weisse Frauen übrig sind, die Sex mit Incels haben.

So erklären sich Youtube-Posts von Männern – die wir hier nicht namentlich nennen um ihnen keine Platform zu geben –, die nach den Silvester-Vergewaltigungen von Köln (D) deutschen Frauen ernsthaft weismachen wollen, sie seien selber schuld, wenn sie von Migranten vergewaltigt würden. Sie hätten ja mittels Feminismus den deutschen Mann entmannt.
So erklärt sich auch, dass Amokläufer Tobias R. in Hanau gezielt in Shisha-Bars fährt. Um den Immigranten zu zeigen, wer hier der weisse Herrenmensch ist. Und so erklären sich absurde politische Vorstösse wie die des US-Neonazis Nathan Larsson (39), der sich wiederholt erfolglos mit folgendem Programm für einen Kongresssitz im Bundesstaat Virginia bemüht: Abschaffung des Frauenstimmrechts, Legalisierung von Kinderpornografie und Polygamie, Streichung aller Gelder für die Bildung von Mädchen. Der auf diversen Incel-Foren aktive Mann hat übrigens das mittlerweile gelöschte Webforum «itsfuntorapegirls» («esmachtspassmädchenzuvergewaltigen») betrieben.

Tief verwurzelte Ablehnung von Gleichstellung und Feminismus

Nun wäre es schön, man könnte diese Männer, die sich in ihrer selbstgewählten Opferrolle suhlen und Frauen deshalb hassen, weil sie es nicht schaffen, auch nur ein Gespräch mit einer zu führen, als vereinzelte, fehlgeleitete und eigentlich bemitleidenswerte Idioten ansehen. Leider greift dies aber zu kurz, sagt Professor Rolf Pohl (68). Der deutsche Soziologe hat sich auf Männlichkeits- und Geschlechterforschung spezialisiert. Dem SRF sagt er in einem Interview: «Die Entwicklung geht mit anderen Strömungen einher, die sich in eine ähnliche Richtung entwickeln: gegen Frauen, gegen Feminismus.»

Incels sind also leider nur die Spitze eines riesigen, frauenfeindlichen Eisbergs. Zufrieden sind sie mit ihrer wehleidig zelebrierten Opferrolle aber auch nicht: Gemäss einer Auswertung von Kracher haben 75 Prozent der Nutzer eines Incel-Forums schon über Suizid nachgedacht. «Therapien», sagt Kracher, «sind aber eine jüdische Erfindung, deshalb machen Incels keine.»
Die eklige Vermischung von Frauenhass und Antisemitismus führt bei allem Immigrantenhass paradoxerweise so weit, dass teilweise sogar eine Verherrlichung des Islamischen Staats und der Scharia stattfindet.

*Name bekannt

Veronika Kracher,Incels, Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults,Ventil Verlag, 1. März.

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