Das Foto wirkt irreal, als sei es am Computer entstanden. Als stamme es aus einem Horror-Film. Kann das sein? So viele Menschen auf einem einzigen Schiff, auf einem einzigen Pier? Kein Wunder, fallen sie zu allen Seiten hin ins Wasser. Ein Foto, das Verzweiflung und Entbehrung fast schon versinnbildlicht.
Wobei: Den Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli scheint das Foto eher zu amüsieren. Am Mittwoch postete er es auf seinem Facebook-Account – versehen mit dem Schriftzug: „Die Fachkräfte kommen.“ Er vermischt so die Debatte um Fachkräftemangel und die SVP-Einwanderungs-Initiative mit dem Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer – und zieht alles zusammen ins Lächerliche.
Und er ist nicht der Einzige. Andreas Glarner, Aargauer SVP-Fraktionschef, postete dieselbe Version, ebenfalls auf Facebook. Was den Glarner Nationalrat und BDP-Präsidenten Martin Landolt auf Twitter zum wütenden Kommentar veranlasste: «Auch wer wenig Niveau hat, kann noch sinken.»
Tatsächlich haben weder Mörgeli noch Glarner das Foto ausgegraben und wohl auch nicht bearbeitet. Die „Fachkräfte“-Version kursiert schon seit längerem auf rechten Webseiten. Im vergangenen März tauchte sie sogar auf der Seite der deutschen Neonazi-Partei NPD auf. Versehen mit dem höhnischen Kommentar: „Frische Fachkräfte werden verladen – und es kommen ALLE!“
Doch was zeigt das Foto – ohne Kommentar – eigentlich wirklich? Auch wenn die Verwendung durch SVP-Politiker und andere den Anschein macht: Es stammt nicht aus der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Der liberale Verein „Operation Libero“ fand einige Stunden nach Mörgelis Post die Geschichte hinter alten Bild.
Es ist eine Aufnahme der „Vlora“ und ihrer traurigen Ankunft im italienischen Hafen von Bari – am 8. August 1991. Der schrottreife Frachter hatte gut 20000 Flüchtlinge aus Albanien an Bord. Sie kehrten ihrem unter dem Stalinismus verelendeten Land den Rücken, als dessen Regime endlich zusammenbrach.
Die italienischen Behörden waren völlig unvorbereitet und verboten den Albanern, nur schon den Pier von Bari zu verlassen. Ohne Wasser und in brütender Sonne erlitten die Ankömmlinge massenhaft Hitzeschläge. Am Ende brachte man sie in ein Sportstadium und schaffte dann fast alle wieder aus nach Albanien.
Bittere Ironie des Ganzen: Rechte Politiker – vielleicht sogar Mörgeli oder Glarner – brachten damals grosses Verständnis auf für solche Flüchtlinge. «Abstimmen mit den Füssen», nannte man das. Ein klares und ultimatives Verdikt über den gescheiterten real existierenden Sozialismus. Bedauerlich, dass dieselben Kreise für real existierendes Elend von heute nur noch Spott übrig haben.