Die 57 Buben und Mädchen des Rokpa-Kinderhauses in Kathmandu hatten riesiges Glück: Sie haben das heftige Erdbeben vom Samstag unverletzt überlebt. Die Zürcher Mitgründerin des Kinderhauses, Lea Wyler (68), ist erleichtert: «Alle waren im Speiseraum versammelt und beteten vor dem Essen, als das Erdbeben losging.»
Sie wussten genau, was sie zu tun hatten: Die Kinder, hauptsächlich Hindus und Buddhisten, stoppten ihren Sprechchor und rannten sofort ins Freie. Da Nepal als erdbebengefährdete Zone bekannt ist, übten sie die Massnahmen immer und immer wieder. Rokpa-Geschäftsleiterin Corinna Biasiutti (57) zu BLICK: «Die Devise ist einfach – schnell hinaus!» Jedem Kind werde bei der Neuaufnahme ein älteres als Schutzpatron für solche Notfälle zugeteilt.
Die schnelle und richtige Reaktion hat den Bewohnern das Leben gerettet. Nun leben die 6- bis 25-jährigen Kinder und Jugendlichen auf dem noch leeren Baugrundstück neben dem Kinderhaus. Hier kochen sie im Freien Suppe, Reis- und Linsengerichte. Und hier schlafen sie trotz Regen. Zumindest sind sie somit einigermassen in Sicherheit, falls es Nachbeben geben sollte. Eine Rückkehr ins Kinderhaus gilt zurzeit als zu gefährlich. Obwohl das Haus erdbebensicher gebaut wurde, hat es Risse in den Mauern. «Es gibt viele Schäden, die wir reparieren müssen», sagt Lea Wyler.
Nicht die einzige Arbeit, die wartet. Die Leitung des Kinderhauses will den Einheimischen helfen, Verwandte wiederzufinden, und ihnen Kleider und Nahrung verteilen. «Mummy Lea» sagt: «Unser noch unbebautes Grundstück entpuppt sich als Segen. Viele finden bei uns Zuflucht. Die meisten haben alles verloren.» Das ganze Ausmass der Katastrophe, sagt sie, werde erst langsam sichtbar und übersteige alle Vorstellungskraft. «Wir trauern und beten für alle Verstorbenen und Verletzten.»
Wyler initiierte 2005 den Bau des Kinderhauses. Der frühe Tod ihrer Mutter sowie die Begegnung mit einem tibetischen Meditationsmeister hatten ihr Leben verändert. Die ehemalige Schauspielerin gründete in Zürich den Verein Rokpa International, der dank Spenden weltweit mit 150 Projekten hilfsbedürftige Menschen unterstützt.