Es ist ein wahnwitziges Schuldenmanöver, das die italienische Regierung am Donnerstagabend verabschiedet hat. Die EU beobachtet die Entwicklungen mit grosser Sorge – am Montag wird der Haushaltsplan der Italiener in Brüssel zum grossen Thema. BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen.
BLICK: Was sieht der Haushaltsplan für 2019 der Italiener vor?
Die Regierungskoalition plant fürs kommende Jahr neue Schulden in Milliardenhöhe, entsprechend 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Diesem Wirtschafts- und Finanzdokument stimmte am Donnerstag das italienische Parlament, der Senat und die Abgeordnetenkammer, zu.
Wofür braucht Italien so viel Geld?
Die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung hat im Wahlkampf ein sogenanntes Bürgereinkommen (ähnlich dem bedingungslosen Grundeinkommen) versprochen. Der Koalitionspartner, die rechtsnationalistische Lega, will mit einer Flat Tax das Steuersystem vereinfachen und Steuern senken. Das wird teuer. Da das hoch verschuldete Italien kaum eigene Mittel hat, muss es sich, um die Reformen zu finanzieren, neues Geld leihen.
Warum stösst der Haushaltsplan in der EU auf Kritik?
Die neue italienische Regierung plant für 2019 dreimal mehr Schulden, als die Vorgängerregierung der EU-Kommission versprochen hatte. Das macht der EU grosse Sorgen. Sie fordert von Italien, sich an den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu halten. Dieser verlangt von EU-Mitgliedstaaten in der Eurozone, ihre Haushaltsdefizite und Verschuldungen zu begrenzen. So darf der Stand der öffentlichen Verschuldung nicht 60 Prozent der eigenen Wirtschaftskraft überschreiten. Italien jedoch hat bereits Schulden in Höhe von 131 Prozent des Bruttoinlandprodukts. So hoch wie kaum ein anderes Industrieland. Und: Schon heute liegen die Schulden bei über 2,3 Billionen Euro.
Welche Gefahren birgt die Schuldenexpansion der italienischen Regierung?
Der Staatshaushalt gerät ausser Kontrolle. Ein Wirtschaftsaufschwung ist nicht in Sicht. Das Risiko, dass das Land die Zinsen nicht mehr bedienen oder gar Schulden abbauen kann, bleibt. Mit diesem Risiko steigen wiederum die Zinsen für Anleihen und Wertpapiere. Die Schuldenexpansion verunsichert weltweit die Finanzmärkte. Es kommt zu Turbulenzen an den Börsen. Das führt zur Schwächung des Euros. Zudem wird im nächsten Jahr eine Erhöhung der Leitzinsen der Europäischen Zentralbank erwartet. Das macht die Situation Italiens noch prekärer. Eine Zahlungsunfähigkeit Italiens, der viertgrössten Wirtschaftsmacht in Europa, würde die EU finanziell stark belasten. Ein EU-Austritt (der sogenannte Italexit) würde sie in eine noch nie da gewesene Krise stürzen. «Dagegen wäre die Eurokrise der vergangenen Jahre ein laues Lüftchen», sagt Wirtschaftsexperte Aymo Brunetti (55) gegenüber BLICK.
Droht Italien ein zweites Griechenland zu werden?
Ja, wenn Italien nicht rechtzeitig die Notbremse zieht. Sowohl die Populisten in Italien also auch die linke Regierung waren Gegner der rigorosen Spar-Politik der EU für verschuldete Mitgliedsstaaten. Im Wahlkampf liebäugelten auch die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega mit einem Austritt aus der EU. Die Rückkehr zur Lira würde Italien erlauben, die Währung abzuwerten und die Last der Schulden abzufedern. «Die Italiener lieben ihren stabilen Euro. Sie wollen keinen Zwangsumtausch in schwächelnde Lira. Würde die Regierungskoalition einen Euroaustritt ankündigen, käme es zum Zusammenbruch des gesamten Bankensystems in Italien», warnt Experte Aymo Brunetti. Er befürchtet ein Schreckensszenario: «Die Leute würden all ihre Euros auf einmal von den Konten abheben.»
Was würde das für die EU bedeuten?
Europäische Banken würden mit in den Ruin gezogen, weil viele Geld in Italien angelegt haben. Aymo Brunetti warnt zudem vor dem gefährlichen Ansteckungseffekt: «Vor allem in den Ländern Südeuropas könnten die Menschen in Panik ihre Konten räumen. Es würde der Kollaps des Banksystems drohen.»
Steuern wir mit Italien sicher auf eine neue Finanzkrise zu?
Wahlversprechen und Regieren sind zwei paar Schuhe. Das haben wohl auch schon die Koalitionspartner der italienischen Regierung kapiert. Ihre Reformen werden bereits gestutzt. Das Bürgereinkommen soll es nun nur noch für Arbeitslose geben. Die Flat Tax wird es in zwei Tarifen geben. Italiens Premier Giuseppe Conte (54) verspricht: Die Defizitquoten würden in den Jahren nach 2019 wieder sinken. Wenn der Markt mitspielt.