Die israelische Hauptstadt-Frage
Trump spielt mit dem Feuer

US-Präsident Trump will ein weiteres Wahlversprechen einlösen und Jerusalem heute offiziell als Hauptstadt Israels anerkennen. Damit spielt er den muslimischen Extremisten nicht nur im Nahen Osten in die Hände.
Publiziert: 06.12.2017 um 12:52 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 20:35 Uhr
Johannes von Dohnanyi

Seine ersten zehn Monate im Weissen Haus waren für Donald (71) Trump eine demütigende Serie von Pech, Pannen und Pleiten. Jetzt verspürt der US-Präsident unverhofft Aufwind.

Noch vor dem Heiligen Abend will er die umfassendste Steuerreform seit Jahrzehnten absegnen. Sie wird vor allem reiche Amerikaner und Grosskonzerne entlasten. Und das Oberste Gericht erlaubte ihm, das vor allem gegen Muslime aus sechs Ländern gerichtete Einreiseverbot bis zu einem endgültigen Urteil in Kraft zu setzen.

Geschenk an Israels Nationalkonservative

Noch heute Mittwoch will Trump den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu (68) und seine nationalkonservativen Anhänger beschenken. Unilateral anerkennt Washington Jerusalem als die Hauptstadt Israels an. Schon in wenigen Jahren sollen die etwa tausend US-Diplomaten von Tel Aviv in ein neues Botschaftsgebäude im westlichen Teil der für Juden, Muslime und Christen heiligen Stadt umziehen.

Nach aussen versucht Washington, die Bedeutung dieser Entscheidung zu relativieren: Donald Trump habe nur die bestehende Realität anerkannt. Tatsächlich bringt der 45. US-Präsident – ohne erkennbare Not – mit einer einzigen Unterschrift den ohnehin quälend langsam verlaufenden Friedensprozess im Nahen Osten in Gefahr.

Weitreichende Konsequenzen im Nahost-Dickicht

Trumps Jerusalem-Entscheidung könnte von ähnlicher Tragweite sein wie der von Präsident George W. Bush (71) befohlene Irak-Krieg: An dessen Ende war zwar Diktator Saddam Hussein (†69) gestürzt. Die wahren und dauerhaften Sieger dieses Kriegs aber waren der Iran, Moskau und der islamistische Terrorismus. Auch diesmal sind vergleichbare Verwerfungen im geopolitischen Dickicht des Nahen Ostens zu befürchten.

1947 hatten die Vereinten Nationen der Gründung des Staates Israel zugestimmt. Jerusalem sollte unter internationale Verwaltung gestellt werden. Juden, Muslime und Christen sollten ungehinderten Zugang zu ihren heiligen Stätten erhalten. Aber 13 Jahre nach dem Sechstagekrieg von 1967 annektierte Israel den mehrheitlich muslimischen Ostteil Jerusalems – für die Uno eine völkerrechtswidrige Entscheidung. Inzwischen leben etwa 200’000 jüdische Siedler in Ost-Jerusalem.

Das Aus für das Abkommen von Oslo?

Im Abkommen von Oslo hatten sich Israel und die Palästinenser auf eine Zweistaaten-Lösung geeinigt. Über den Status Jerusalems sollte erst in der Schlussphase der Friedensverhandlungen gesprochen werden. Seitdem ist der schwierige Versöhnungsprozess vor allem von Netanjahu erbittert bekämpft worden.

Anders als sein Vorgänger Barack Obama (56) hält Donald Trump grosse Stücke auf den israelischen Premier. Das dürfte auch an seinem wichtigsten aussenpolitischen Einflüsterer und Schwiegersohn Jared Kushner (36) liegen. Der smarte Mittdreissiger soll den schon 100 Jahre schwelenden Nahostkonflikt endlich lösen.

Kushners enge Bande mit Netanjahu

Sichtbare Fortschritte hat Kushner bisher nicht erzielt. Das mag auch an der in der arabischen Welt argwöhnisch betrachteten Positionierung seiner jüdischen Familie liegen. Die ist mit Benjamin «Bibi» Netanjahu eng befreundet. In den 90er-Jahren, so berichtet die «New York Times», musste der Teenager Jared sogar sein Bett für Freund «Bibi» räumen und im Keller nächtigen. Der mit Immobilien reich gewordene Kushner-Clan unterstützt seit Jahren israelische Siedlergemeinden, die selbst in Jerusalem als extremistisch eingestuft werden.

Und jetzt die amerikanische Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels. Noch gestern Dienstag beschworen die europäischen Aussenminister ihren US-Kollegen Rex Tillerson (65) in Brüssel, seinen Präsidenten noch in letzter Minute umzustimmen.

Umsonst! Wie immer, wenn Donald Trump eine Entscheidung getroffen hat, gibt es kein Zurück. Dann nimmt er selbst auf wichtige Verbündete keine Rücksicht mehr.

Die muslimische Welt ist in Aufruhr

Vom saudischen König Salman (81) und seinem Kronprinzen Mohammed bin Salman (32) über Jordaniens Monarchen Abdullah II. (55) bis hin zu Ägyptens Machthaber Abd al-Fattah as-Sisi (63) – aus allen Teilen der arabischen Welt ist Trump gewarnt worden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (63) sprach von einer «roten Linie für alle Muslime». Palästinenserführer Mahmud Abbas befürchtet eine neue Welle der Gewalt – nicht nur in Israel.

Schon am Mittwochnachmittag sollen drei palästinensische Protesttage beginnen. Sie könnten der blutige Auftakt eines neuen Konflikts werden. Fast auf den Tag genau 30 Jahre nach Beginn der ersten Intifada.

Donald Trump weiss, dass er mit dem Feuer spielt. Der Präsident hat vorsorglich verstärkte Sicherheitsmassnahmen für US-Botschaften und militärische Einrichtungen überall auf der Welt angeordnet.

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