Gestern machte sich die «NZZ am Sonntag» lustig über den Wunsch Transsexueller nach eigenen Toiletten. Die Debatte zeige «wie der Minderheitenschutz komplett aus dem Ruder laufen kann». Das Bedürfnis nach mehr Sicherheit überging das Blatt.
Gestern lief Omar Mateen († 29) aus dem Ruder.
Gezielt griff er einen Zufluchtsort der LGBT-Community in Florida an. In einer Gay-Disco in Orlando tötete der Amerikaner fünfzig Transsexuelle, Schwule und Lesben. In einem Ort also, wo sich die genau diese Community sicher fühlte. Wo Menschen unbehelligt auf die Toilette gehen, tanzen, trinken, sich küssen und umarmen konnten.
Wo sie glaubten, daheim zu sein.
Gezielt zerstörte Mateen diese Welt. Angeblich, weil er sich daran störte, dass zwei Männer sich auf der Strasse küssten. Das Attentat von Orlando – der tödlichste Amoklauf in der Geschichte der USA – erschüttert die Unversehrtheit von Menschen, die in Amerika und weltweit ausgegrenzt werden.
Sicher, Hillary Clinton und Donald Trump liefern sich nun tagelang einen politischen Wettstreit. Wer hat richtig gehandelt? Wer hat versagt? Wer trägt die Schuld? Der Islam? Die Waffen-Lobby? Das FBI? 50 Tote in US-Schwulenclub - Obama spricht von «Terrorakt»
Angesichts der Opfer und der kaltblütigen Tat ist das hohles politisches Gezänk.
An vielen Orten in Amerika und auf der Welt sind Schwule, Lesben und Transsexuelle nicht sicher. Noch immer nicht.
Sie werden verhöhnt, getreten, geschlagen, gefoltert.
Achtzehn Stunden hing Matthew Shepard (1976–1998) an einem Zaun in Wyoming. Blutete aus den Ohren, fror, hatte Angst, fiel ins Koma, starb im Spital. Zwei Burschen hatten den schwulen Teenager aus Hass gefoltert, ihm die Rippen gebrochen, ihn an einen Hag gefesselt, allein gelassen.
Achtzehn Jahre später werden weltweit noch immer jedes Jahr Zehntausende ermordet – nur wegen ihrer sexuellen Orientierung.
Diese Verbrechen aus Hass nehmen laut Uno sogar zu. Noch immer brennen Kinos, die Schwulenfilme zeigen. Der Iran hat seit 1979 über 4000 Schwule und Lesben hingerichtet. Sieben weitere Länder kennen die Todesstrafe für sie. 75 Staaten gehen per Gesetz gegen Homosexualität vor, darunter wichtige Handelspartner der Schweiz wie Russland, Ägypten oder Saudi-Arabien.
Von einer «Attacke auf die Freiheit» spricht die «New York Times» im Fall von Orlando zu Recht. Vergleichbar mit dem Attentat auf die Pariser Redaktionsbüros des Satiremagazins «Charlie Hebdo». Beides seien Anschläge auf unsere tolerante Gesellschaft gewesen. Wo unterschiedliche Meinungen möglich sind, verschiedene Arten zu glauben, verschiedene Arten, sich zu lieben.
Die toten Satiriker ehren wir, indem wir weiter politische Witze zulassen.
Die Toten von Orlando können wir ebenfalls ehren. Blumen, Tränen und Teddybären reichen dafür nicht aus. Zurechtweisen sollten wir, wer sich immer noch lustig macht über das Bedürfnis von Minderheiten nach mehr Schutz im öffentlichen Raum.
Nötig sind endlich gleiche Rechte für alle – egal wen ein Mensch küsst.