Als die grössten Knackpunkte erwiesen sich die Steuer- und Finanzpolitik, die Zuwanderung sowie die Gesundheitspolitik. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Martin Schulz hatten vor der voraussichtlich letzten Sondierungsrunde den Willen zu einer Einigung bekräftigt. Zugleich sprachen sie aber von «grossen Brocken», die noch aus dem Weg geräumt werden müssten.
Nach dreizehnstündigen Sondierungen zeichnete sich am späten Abend noch keine Gesamteinigung ab. Insbesondere die Finanz- sowie die Migrations- und Flüchtlingsthemen seien nach wie vor ungelöst, erfuhr die Nachrichtenagentur dpa in Berlin.
Alles sei im Fluss, es gebe in Einzelpunkten auch Fortschritte. Zugleich hiess es aber einschränkend, erst am Schluss der Verhandlungen werde endgültig über ein Gesamtpaket entschieden. Selbst eine Vertagung der Gespräche wurde am Abend nicht ausgeschlossen.
Nach diesen Informationen wurde stundenlang um die Finanzierung verschiedener kostspieliger Projekte in der Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik gerungen. Nachdem immer wieder ein finanzieller Spielraum von 45 Milliarden Euro für eine künftige Regierung genannt worden war, summierten sich die Kosten für die in den Arbeitsgruppen ausgearbeiteten Einzelvorhaben noch am Morgen auf gut das Doppelte.
Darunter waren beispielsweise Vorschläge wie die Einführung einer solidarischen Lebensleistungsrente, mit der die Renten von langjährigen Geringverdienern aufgebessert werden könnten. Ausserdem ging es demnach um eine zusätzliche Unterstützung der Gemeinden im zweistelligen Milliardenbereich.
Schwierig waren die Gespräche auch im Zusammenhang mit der SPD-Forderung nach einer Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent. Der Union (CDU und CSU) sei es im Gegenzug wichtig, beim Abbau des Solidaritätszuschlages voranzukommen.
Zugleich pochte die Union nach diesen Informationen auch angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen auf die «schwarze Null» im Haushalt - also den Verzicht auf neue Schulden.
Die Verhandlungen wechselten zwischen Sitzungen von Arbeitsgruppen, Sechser-Runden der Partei- und Fraktionschefs, getrennten Beratungen der einzelnen Seiten und der grossen Gruppe der Unterhändler. Spätestens am Freitagmorgen wollten Merkel, Schulz und CSU-Chef Horst Seehofer ihren Gremien ein Ergebnis vorlegen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte die Unterhändler an ihre Verantwortung. CDU, CSU und SPD seien nicht nur ihren Parteien und der eigenen politischen Zukunft verpflichtet, sondern hätten auch grosse Verantwortung für Europa und die internationale Politik, mahnte das Staatsoberhaupt beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps.
SPD-Chef Schulz rückte zum Auftakt der Gespräche auch die Europa-Politik in den Mittelpunkt. «Wenn wir in eine solche Regierung eintreten, dann unter der Bedingung, dass sie Europa stark macht», sagte er vor der SPD-Zentrale, wo die entscheidende Runde stattfand. Schulz zeigte sich ebenso Merkel zuversichtlich, dass die Gespräche erfolgreich abgeschlossen werden könnten.
Als entscheidend galt, ob die Sozialdemokraten etwa bei den aus ihrer Sicht zentralen Gerechtigkeitsthemen ausreichende Verhandlungserfolge erzielen. Die SPD-Spitze braucht nach ihrem Wahldebakel bei der Bundestagswahl im September für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen die Zustimmung eines Parteitags, der am 21. Januar in Bonn stattfinden soll und als grosse Hürde gilt.
So wollen die Jusos Widerstand gegen eine Neuauflage der grossen Koalition mobilisieren. Juso-Chef Kevin Kühnert will dafür unter anderem durch mehrere SPD-Landesverbände touren, wie er der dpa sagte.
Ein SPD-Projekt ist eine einheitliche gesetzliche Bürgerversicherung im Gesundheitssystem. Die Union lehnt eine solche ab.
Unter anderem beim Unkrautgift Glyphosat, das für massiven Ärger in der bisherigen grossen Koalition gesorgt hatte, haben Union und SPD bereits eine gemeinsame Position gefunden.
Einig sind sich die Sondierer auch darin, Diesel-Fahrverbote vermeiden und generell Luftverschmutzung durch Autoabgase senken zu wollen. Das nur noch schwer erreichbare deutsche Klimaschutz-Ziel für 2020 soll aufgegeben werden.