Deutschland nach der Bundestagswahl
Jamaika oder die Quadratur des Kreises

Nach den Wahlen gibt es für Angela Merkel wohl nur noch eine Koalitionsoption. Ob Grüne, Liberale und CSU mitspielen, ist aber noch völlig offen.
Publiziert: 27.09.2017 um 18:56 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:55 Uhr
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Angela Merkel vor einer schweren Koalitionsbildung: «Jamaika» käme einer Quadratur des Kreises gleich.
Foto: Keystone
Johannes von Dohnanyi

Es hat genau zehn Stunden gedauert, um den politischen Permafrost aufzuweichen, auf dem die bisherige Stabilität der Bundesrepublik ruhte. Seit dem Wahlerfolg der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) sind die Felsmassen der bisher im Bundestag vertretenen Parteien ins Rutschen gekommen.

Nichts ist in Berlin mehr so, wie es mal war.

Unabhängig von dem beleidigt-pampigen Stil, mit dem der sozialdemokratische Wahlverlierer Martin Schulz noch am Wahlabend das Ende der Grossen Koalition verkündete, hat die SPD mit ihrer Entscheidung zumindest eines verhindert: Die AfD wird nicht die stärkste Oppositionspartei im deutschen Parlament sein.

Der beleidigte SPD-Chef

Doch die bei Schulz spürbare Schadenfreude über die absehbaren Schwierigkeiten von Angela Merkel ist fehl am Platz. Denn als mögliche Koalitionäre kommen für die alte und künftige Kanzlerin – neben der bayrischen Schwesterpartei CSU – jetzt nur noch die Liberalen und die Grünen in Frage.

Es wäre die erste nach den Flaggenfarben des Karibik-Staats Schwarz, Gelb und Grün benannte «Jamaika-Koalition» in der Geschichte der Bundesregierung.

Und zugleich die Quadratur des Kreises.

Denn Angela Merkel müsste sich für diese an ein Wunder grenzende Lösung politisch völlig neu erfinden. Anstatt Probleme in Ruhe anzugehen, sie immer wieder auch einfach auszusitzen, müsste die Kanzlerin zur aktiven Gestalterin von Politik werden. Genau das aber ist nicht ihre grösste Stärke.

Gelingt Merkel das schier Unmögliche?

Im Guten wie im Schlechten: Wahlergebnisse provozieren bei Parteien und ihren Spitzenvertretern unmittelbare und reflexartige Reaktionen.

So auch bei Christian Lindner, dem smarten Dreitagebart-Vorsitzenden der Freien Demokraten (FDP). Dessen One-Man-Wahlkampfshow hat die FDP wieder in den Bundestag gebracht. Entsprechend hoch ist aber sein Preis für die Beteiligung an Jamaika: Lindner verlangt tiefgreifende Veränderungen in der Bildungs- und Wirtschaftspolitik.

Ein Einwanderungsgesetz hat er ebenso wie eine «vernünftige» Energiepolitik und das Ende automatischer Finanztransfers an die Europäische Union zur Bedingung für Jamaika gemacht: «Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, werden aber nicht um jeden Preis einer solchen Koalition beitreten.»

Grüne pochen auf Klimaschutz und offene Grenzen

Der Konflikt mit den Grünen ist damit vorprogrammiert. Deren Ko-Vorsitzender Cem Özdemir ermahnt die potenziellen Koalitionäre zwar immer wieder an ihre staatspolitische Verantwortung.

Aber auch die Grünen haben für Jamaika ihre programmatischen Steckenpferde bereits auf den Parcours geschickt: Klimaschutz mit einem schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Gefolgt von einer Politik der offenen Grenzen und der Beibehaltung des liberalen deutschen Asylrechts.

Die bayrische CSU droht weit nach rechts zu rücken

Damit könnte Merkel wohl problemlos leben – wäre da nicht die christsoziale bayrische Schwesterpartei. Die Verluste der CSU waren noch grösser als die der CDU. Der Absturz der CSU auf 38 Prozent der bayrischen Stimmen ist ein wahres Debakel. Im kommenden Jahr stehen in München Landtagswahlen an. Parteichef Horst Seehofer ist in seiner Führungsrolle sicht- und hörbar angeschlagen. Und so hat er das Motto des früheren CSU-Chefs Franz Josef Strauss ausgegraben, dass es rechts von der CDU/CSU keine Partei geben dürfe.

Seehofer ist entschlossen, die an die AfD verlorenen Wähler mit einer klaren programmatischen Öffnung nach rechts zurückzuholen. Eine Obergrenze für Flüchtlinge, Leistungsbeschränkungen auch für anerkannte Asylbewerber, die Bevorzugung «deutscher» Deutscher auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Mit solchen Forderungen bringt der parteiintern angeschlagene Seehofer die Kanzlerin in echte Bedrängnis.

Neuwahlen würden wohl nur der AfD nützen

Diesen Punkten zuzustimmen, hiesse für Merkel nicht nur, die eigenen Prinzipien zu verraten. Solange Seehofer, Lindner und Özdemir ihren Maximalkatalog nicht durch Kompromissbereitschaft abmildern, muss Jamaika bereits als gescheitert gelten, noch bevor die Sondierungsgespräche überhaupt begonnen haben.

In dieser Situation könnte Angela Merkel in dem wertkonservativen Özdemir einen entscheidenden Verbündeten finden. Denn der warnt bereits seit dem Wahlabend vor dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen für Jamaika: «Dann blieben nur noch Neuwahlen – und die würden nur der AfD nützen.»

Ob die ausgewiesenen Alphamännchen Lindner und Seehofer die logischen Konsequenzen aus dieser Analyse ziehen werden, ist drei Tage nach der Wahl allerdings noch völlig offen.

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