Deutschland
Merkel setzt in Regierungserklärung auf Zusammenhalt und Aufbruch

Berlin – Ein stärkerer Zusammenhalt der Gesellschaft und die technologische Erneuerung Deutschlands müssen zentrale Ziele der grossen Koalition bis 2021 sein. Das sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag in Berlin.
Publiziert: 21.03.2018 um 18:03 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:15 Uhr
Der Islam sei ein Teil von Deutschland, findet Merkel und mahnt in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag in Berlin zu Zusammenhalt und Aufbruch.
Foto: KEYSTONE/EPA/CLEMENS BILAN

«Ich bin überzeugt, Deutschland kann es schaffen - und Deutschland, das sind wir alle», sagte die CDU-Vorsitzende. Sie rechtfertigte dabei nicht nur ihre umstrittene Flüchtlingspolitik nach 2015, sondern stellte sich in den Debatten über Islam und Verteidigungsausgaben auch deutlich gegen Innenminister Horst Seehofer (CSU) und den früheren Aussenminister Sigmar Gabriel (SPD).

Damit erntete sie Widerspruch etwa von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch warf der Koalition vor, den Regierungsapparat unnötig personell aufzublähen. So gebe es 100 neue Stellen im CSU-geführten Innenministerium, 40 mehr im Kanzleramt und 40 mehr im Finanzministerium.

Die Arbeit des Bündnisses aus CDU, CSU und SPD beschrieb Merkel mit drei grossen Klammern. Erstens müsse die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft bis 2021 abgebaut werden. Dies betreffe nicht nur die Spaltungen zwischen Alt und Jung, Stadt und Land sowie Arm und Reich, sondern auch zwischen Menschen, die seit langem in Deutschland lebten sowie Flüchtlingen und Zugewanderten.

«Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist eine Schande. Und wir müssen sie mit aller Kraft bekämpfen», sagte Merkel mit Blick auf Projekte in den Bereichen wie Rente, Pflege, Gesundheit und Kinderbetreuung.

Auch SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles betonte, dass die Koalition sich der Alltagssorgen der Menschen annehmen wolle. Das gelte etwa für die Vorhaben, extreme Mieterhöhungen nach Modernisierungen zu stoppen und junge Familien mit dem Baukindergeld beim Erwerb von Wohneigentum zu unterstützen. Der Bundestag werde «hoffentlich sehr schnell» über entsprechende Gesetzesinitiativen beraten.

Zweitens will die Koalition nach Merkels Angaben eine neue wirtschaftliche und technologische Dynamik bewirken, um Wohlstand auch in Zukunft zu erhalten und Sozialprogramme finanzieren zu können. Ziel müsse die Vollbeschäftigung bis 2025 sein. Damit ging die CDU-Chefin über den Koalitionsvertrag hinaus, der keine Jahreszahl nennt.

Bis 2025 sollten auch die Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erhöht und ein digitales Gigabit-Netz ausgebaut werden.

Drittes Element sei die Rolle Deutschlands in der EU und der Aussenpolitik. Wenn es einen Fehler in der Flüchtlingskrise gegeben habe, dann die Hoffnung, dass der Krieg in Syrien Europa und Deutschland nicht berühre. Dies sei «im Rückblick naiv» gewesen, räumte Merkel ein. «Aussen- und Innenpolitik sind nicht zu trennen.»

Merkel setzte sich in der Islam-Debatte erneut deutlich von CSU-Chef Seehofer und dessen Äusserung ab, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Zwar sei das Land vor allem christlich-jüdisch geprägt. Mit Blick auf die 4,5 Millionen Muslime fügte Merkel aber hinzu, «dass ihre Religion inzwischen ein Teil Deutschlands geworden ist».

CSU-Landesgruppenchef Dobrindt widersprach der CDU-Chefin im Plenum. Man müsse denjenigen, die nach Deutschland kämen, sagen, «wohin sie sich überhaupt integrieren sollen», sagt er. «Und deswegen sage ich Ihnen auch: Der Islam gehört nicht zu Deutschland.»

Die Kanzlerin bekannte sich ausdrücklich zur Selbstverpflichtung der Nato-Staaten, die Verteidigungsausgaben bis 2024 Richtung zwei Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Deutschland müsse ein verlässlicher Partner in EU und Nato sein.

Im Koalitionsvertrag hätten sich die drei Parteien deshalb sowohl zu den finanziellen Beiträgen der Nato und der Erhöhung der Entwicklungsausgaben bekannt, sagte sie.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der die Generalaussprache über die Regierungserklärung als Vorsitzender der grössten Oppositionspartei, der rechtsnationalistischen Alternative für Deutschland, eröffnet hatte, kritisierte fehlendes Pathos und Tiefgang in der Kanzlerinnen-Rede. «Aber Sie haben das erste Mal wieder von Deutschen gesprochen. Das ist der Erfolg der AfD», sagte er.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter begrüsste Merkels Ankündigung, den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschlands zu stärken. Daraus müsse aber folgen, Innenminister Seehofer und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu entlassen. Spahn hatte zuletzt mit Äusserungen zur Armut in Deutschland heftige Debatten provoziert.

Der FDP-Fraktions- und Parteivorsitzende Christian Lindner warnte die grosse Koalition vor einer europäischen Transfer-Union nach den Vorstellungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Nach Ansicht von Linksfraktionschef Dietmar Bartsch legte die neue Regierung Merkels insgesamt einen glatten Fehlstart hin.

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