«Ein permanenter Verdacht gegen Zugewanderte, egal wie lange sie schon in Deutschland leben, ist verletzend nicht nur für den Einzelnen. Er ist beschämend für unser Land», sagte Steinmeier am Mittwoch vor deutsch- und türkischstämmigen Gästen. Deutschland sei ein Einwanderungsland, das werde auch in Zukunft so sein.
Das Setting ist ungewöhnlich. Im Park von Schloss Bellevue ist eine Kaffeetafel gedeckt, schattig unter Bäumen, direkt am Teich. Es gibt deutschen Butterkuchen und türkische Baklava. Die Menschen kommen aus der Nachbarschaft. Die meisten der 13 Gäste haben türkische Wurzeln, dabei sind eine Fachärztin für Chirurgie, der Geschäftsführer eines Finanzdienstleisters, ein in der #MeTwo-Kampagne aktiver Videokünstler, aber auch Schüler und Studenten.
Wer zum Treffen mit dem Bundespräsidenten eingeladen wird, entspricht möglicherweise nicht ganz dem Durchschnitt der Menschen in Deutschland mit türkischen Wurzeln. Die 36-jährige Ärztin Safak Gül-Klein, in Berlin als Tochter türkischer Eltern geboren, sagt etwa zum Thema Diskriminierung: «Für mich kann ich das ausschliessen.» Und sie fügt hinzu: «Mir geht es gut. Ich bin ja deutsch.»
Auch der 20-jährige Student Yunus Güllü beklagt sich nicht. «Man sieht mir nicht auf Anhieb an, dass ich anders sein könnte», sagt er. Aber es gebe auch ganz andere Erfahrungen etwa von Menschen, die durch Kopftuch oder Bart als Muslime zu erkennen seien. Und auch er selbst habe in der Schulzeit als Muslim Diskriminierung kennengelernt. Sein Ethiklehrer in Berlin habe ihn etwa als «Muselman» gehänselt.
So hat jeder Geschichten zu erzählen, wie es sich gehört bei einer Kaffeetafel. Steinmeier erinnert an die Zuwanderung der Menschen, die man Gastarbeiter genannt hat, weil viele Deutsche sie nicht als dauerhafte Mitbürger akzeptieren wollten. «All ihre Geschichten gehören zu uns. Sie machen uns aus», sagt Steinmeier in seiner Ansprache. Niemand müsse seine Wurzeln verleugnen. «Denn Heimat, gefühlte und gelebte, die gibt es auch im Plural», betonte er.
So einen Satz hat er schon einmal gesagt. Vor der Fussball-Weltmeisterschaft in Russland traf er die Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die wegen ihres Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan massiv kritisiert worden waren. In seiner Rücktrittserklärung aus der Nationalmannschaft hatte Özil von einem «Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit» gesprochen.
Ohne die Vorwürfe gegen Özil direkt anzusprechen, sagte Steinmeier: «Unsere Gesellschaft ist kein starres Gebilde. Zugehörigkeit wird nicht von oben verliehen wie ein Abzeichen und dann vielleicht wieder entzogen.» Steinmeier bezog sich auch auf die Twitter-Aktion «#MeTwo» gegen Alltagsrassismus, die der Aktivist Ali Can nach dem Rücktritt Özils ins Leben gerufen hatte. Can ist zu einer Veranstaltung im Oktober im Schloss Bellevue eingeladen.
Immer wieder höre er von Einwandererkindern oder sogar von Einwandererenkeln den Satz: «Obwohl ich hier geboren bin, obwohl ich mich ganz besonders anstrenge, gehöre ich trotzdem nicht dazu.» Es gebe aber keine «halben oder ganzen, keine Bio- oder Passdeutschen», keine Bürger erster oder zweiter Klasse, so Steinmeier.
Den türkischen Präsidenten, der Ende September zu einem Staatsbesuch nach Berlin kommt, erwähnt Steinmeier nicht. Aber er sagt einen Satz, den man auch auf Erdogan beziehen könnte: Diejenigen müssten in die Schranken gewiesen werden, die Misstrauen, Furcht und Zwietracht säen - «in Deutschland oder aus anderen Ländern zu uns hinein».
In diesem heissen Sommer sei viel diskutiert worden, sagt Steinmeier - über Zugehörigkeit und Ausgrenzung, über Integration und Abschottung. Diese Diskussionen seien notwendig, betont er. Und dann kommt auch noch eine kleine Erinnerung an den glücklosen Auftritt der deutschen Fussball-Nationalmannschaft bei der WM: «Wir sind ein Land - wenn es gut läuft und wenn es schlecht läuft.»