Tag 21 auf der Sea-Watch 3. Kapitänin Carola Rackete ist erschöpft – und trotzig. Und sie fasst einen Plan, der weltweit für Aufsehen Sorgen wird: Trotz Verbot der Behörden will sie mit 40 Geflüchteten an Bord in den Hafen von Lampedusa einfahren.
«Da gegen mich eh schon wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung ermittelt wird, kann ich die Menschen auch gleich an Land bringen», erklärt die 31-jährige Deutsche ihrer Crew. Und fügt entschlossen hinzu: «Das machen wir jetzt auch.»
Die dramatische Szene stammt aus einer neuen Dokumentation über die dreiwöchige Irrfahrt des Rettungsschiffes, das am 12. Juni vor der Küste Libyens 53 Geflüchtete rettete. Zwei Journalisten des Norddeutschen Rundfunks (NDR) waren für die Youtube-Sendung «STRG_F» während der gesamten Zeit auf der Sea-Watch 3 dabei. Einen Monat nach der spektakulären Verhaftung haben Nadia Kailouli (35) und Jonas Schreijäg (30) ihr Videomaterial veröffentlicht.
Rackete will die Flüchtlinge unbedingt nach Italien bringen
Zu Beginn der Rettungsmission sind die ehrenamtlichen Retter – wie die Medizinstudentin Verena und der Jurastudent Oscar – noch gut gelaunt. Die Stimmung wird im Laufe des Films kippen.
Die Reporter sind auch dabei, als die Crew die Geflüchteten aus einem Schlauchboot aufnimmt. Nach der Aufnahme werden die 53 Geflüchteten in Gruppen unterteilt und soweit wie möglich untersucht – Frauen und Kinder erhalten besonderen Schutz. Unter einer grossen Plane gibt es Schlafplätze.
Die libyschen Behörden schicken eine Mail: Die Sea-Watch 3 soll die Geflüchteten zurück nach Libyen bringen. «Unsere Antwort ist nein, nein, nein», sagt Kapitänin Rackete. Wegen der Menschenrechtssituation in Libyen und dem ebenfalls nahen Tunesien sieht sie als nächsten sicheren Hafen nur Lampedusa – ein italienisches Gericht wird ihr später Recht geben.
Täglich telefoniert sie mit der zentralen Rettungsleitstelle in Rom und bittet darum, anlegen zu dürfen. Sie erhält keine Zusage, obwohl sie immer wieder auf die prekäre Situation an Bord hinweist. Die Behörden verbieten ihr die Einfahrt in italienische Gewässer. «Es stehen diese zwei Rechte gegeneinander: Das Recht auf Leben und das Recht auf Territorialgewässer», sagt Rackete vor den Kameras der Journalisten frustriert. «Es ist eigentlich ziemlich deutlich, wer da im Recht ist.»
Wasserknappheit, Notfälle, Kontaktverbot
An Tag 10 erklärt Reporterin Nadia Kailouli, dass sie nicht weiss, wie es weitergehen soll. Es sei unerträglich heiss, die Menschen an Bord seien erschöpft und ängstlich. Sie können keinen Kontakt zu ihren Familien in Afrika aufnehmen, ihnen nicht erzählen, dass sie die Fahrt auf dem Mittelmeer überlebt haben – zu gross ist die Angst der Crew, dass ihnen Kontakte mit Schleppern unterstellt werden könnten.
Kurz darauf wird das Wasser an Bord knapp. Duschen und Wäsche waschen geht nicht mehr. Insgesamt 13 medizinische Notfälle werden nach und nach abtransportiert, doch eine langfristige Lösung ist noch immer nicht in Sicht.
Die italienischen Behörden setzen Rackete unter Druck. Innenminister Matteo Salvini wirft ihr Schlepperei vor, poltert gegen die «Sbruffoncella» – auf Deutsch etwa «kleine Angeberin». Noch immer hat Rackete 40 aus Seenot Gerettete auf dem Boot, für deren Sicherheit sie als Kapitänin die Verantwortung hat. Plus ihre Crew.
Die Irrfahrt der Sea-Watch 3 endet mit einer Verhaftung
Rackete entscheidet sich für die Einfahrt in den Hafen von Lampedusa. Ihre Entscheidung hat sie vorab angekündigt – in der Hoffnung, dass sich doch noch eine politische Lösung findet. Als sie einfährt, blockiert ein Boot der italienischen Finanzbehörde den einzigen Anleger. Die Sea-Watch 3 touchiert das kleine Boot beim Anlegemanöver leicht – unabsichtlich, wie Rackete mehrfach betont.
Auf dem Pier warten Polizisten. Menschen, die Applaus klatschen – und Menschen, die schreien: «Schämt euch!», «Komplizin von Menschenhändlern!» Sie fordern Racketes Verhaftung. Daran glaubt die Kapitänin in diesem Moment noch nicht. «Sonst kann das Schiff ja niemand wegfahren.» Sie irrt: Die 21 Tage auf See enden mit ihrer Verhaftung.
Am Donnerstag hat die italienische Regierung eine Vertrauensabstimmung über ein neues Sicherheitspaket gewonnen. Strafen für Hilfsorganisationen, die trotz eines Verbots italienische Häfen ansteuern, werden von 50'000 auf eine Million Euro angehoben. Damit hofft Innenminister Salvini NGO-Schiffe wie die Sea-Watch 3 zu stoppen.