Exekutionen und Folter
«KZ-ähnliche Verhältnisse» in Libyens Flüchtlingslagern

Deutsche Diplomaten in Afrika prangern in einem internen Lagebericht allerschwerste Menschenrechtsverletzungen in sogenannten libyschen Privatgefängnissen an. Dort halten Schlepper ausreisewillige Flüchtlinge gefangen.
Publiziert: 29.01.2017 um 07:52 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:30 Uhr
Flüchtlinge werden in Libyen von Schleppern unter fürchterlichsten Bedingungen festgehalten. Im Bild ein Flüchtling, der vom Militär in einem libyschen Versteck entdeckt wurde.
Foto: KEYSTONE/EPA/STRINGER

Laut der «Welt am Sonntag» berichtete die deutsche Botschaft in Nigers Hauptstadt Niamey in einer sogenannten Diplomatischen Korrespondenz (intern: «Drahtbericht») an das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien von «allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen in Libyen».

Wörtlich heisst es demnach in dem Schreiben, das der Zeitung vorliegt: «Authentische Handy-Fotos und -videos belegen die KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen.» In solchen «Privatgefängnissen» würden Schlepper ausreisewillige Migranten häufig gefangen halten.

«Exekutionen an der Tagesordnung»

«Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung», heisst es laut «Welt am Sonntag» in dem Bericht. «Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschiessungen wöchentlich in einem Gefängnis - mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen, d.h. den menschlichen ,Durchsatz' und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen.»

Mehr als 180'000 Menschen kamen im vergangenen Jahr von Nordafrika nach Italien. Beinahe 90 Prozent brachen von Libyen aus übers Mittelmeer nach Europa auf.

Die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Ska Keller, warnte eindringlich vor einem Abkommen mit Libyen zur Rücknahme von Flüchtlingen. Menschen würden «in eine katastrophale und menschenunwürdige Lage zurückgeschickt», sagte sie dem Blatt.

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am Freitag in Malta darüber beraten, wie sich der Flüchtlingszustrom aus Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten eindämmen lässt. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte am Samstag in ihrem Podcast gesagt, ein Abkommen mit Libyen könne man erst ins Auge fassen, «wenn sich die politische Situation in Libyen verbessert hat».

«Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt»

Innenminister Thomas de Maizière sagte der «Welt am Sonntag»: «In der jetzigen Lage ist es so, dass die Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt - das muss beendet werden, denn das Geschäftsmodell der Schlepper ist so einfach wie grausam: Flüchtlinge erkaufen sich für viel Geld einen Platz in einem kaum seefähigen Boot.»

Es gebe in der UNO-Flüchtlingskonvention einen Anspruch von Schutzsuchenden gegenüber der Völkergemeinschaft, sagte der Minister. «Aber es gibt darin keinen Anspruch, hinzugehen, wo man will.» De Maizière wirbt bereits seit längerem für Flüchtlingslager etwa in Nordafrika.

In Libyen herrscht Chaos

In Libyen herrscht seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 Chaos. Seitdem beherrschen konkurrierende bewaffnete Milizen das ölreiche Land. Seit dem März 2016 versucht zwar eine von der UNO unterstützte Einheitsregierung, das libysche Staatsgebiet unter ihre Kontrolle zu bekommen. In der ostlibyschen Stadt Tobruk ist aber nach wie vor eine Gegenregierung aktiv.

Bei einem Treffen der EU-Innenminister in Brüssel war der Vorstoss der maltesischen EU-Ratspräsidentschaft, mit Libyen ein ähnliches Abkommen zur Flüchtlingsrücknahme wie mit der Türkei zu schliessen, am Donnerstag auf Vorbehalte gestossen. (bau/SDA)

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