Die Europäische Währungsunion, der Euro und Griechenland: ein schwieriges Feld. Die physische Einführung des Euro liegt erst 13 Jahre zurück; nun gibt es eine historische Einordnung, die zu konsultieren sich gerade dieser Tage lohnt. Sie findet sich im soeben erschienenen vierten Band der «Geschichte des Westens – Die Zeit der Gegenwart» des deutschen Historikers Heinrich August Winkler.
Aus seinem Werk lässt sich erstmals in historischer Perspektive destillieren, warum die Idee einer gemeinsamen europäischen Währung sowie die Einführung des Euro schliesslich in die heute praktisch ausweglose Lage in Griechenland führen konnte und welche Mitverantwortung dafür alle Beteiligten zu tragen haben.
I. Deutsche Einheit und die Währung
Eine gemeinsame Währung für Europa – davon träumten viele und manch einer sah darin ein Vehikel für das Fernziel einer politischen Einigung Westeuropas. Ein einzelner Mann jedoch war es, der die Weiche Richtung Euro stellte: François Mitterrand, französischer Staatspräsident. Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 machte der Franzose seine Zustimmung zur deutschen Einheit von der schnellen Einführung einer Europäischen Währungsunion abhängig.
Der Grund: eine deutsche Mark als Teil einer europäischen Währung «verminderte die Gefahr erheblich, dass einem wiedervereinigten Deutschland die Hegemonie über Europa zufallen würde», schreibt Historiker Winkler. Diese enge Verzahnung von Wiedervereinigung und Währungsunion war geheim, bis der «Spiegel» im Jahre 2010 entsprechende Protokolle veröffentlichte und Mitterrands Berater mit den Worten zitierte: «Er wollte keine Wiedervereinigung ohne einen Fortschritt bei der europäischen Integration, und das einzige Terrain, das vorbereitet war, war die Währung.»
Daraus folgert Historiker Winkler: «Bundeskanzler Helmut Kohl, für den Währungsunion und Politische Union immer zwei Seiten ein und derselben Medaille gewesen waren, liess sich auf die Entkoppelung der beiden Projekte ein, um die deutsche Einheit nicht mit einem deutsch-französischen Zerwürfnis zu belasten.»
II. Währung um jeden Preis
Im Verlauf der 1990er-Jahre sei für Kohl die Währungsunion dann zum Zweck an sich mutiert, urteilt Winkler. Weil er sich nach erfolgter Wiedervereinigung dazu verpflichtet fühlte? Der Historiker ortet jedenfalls in den Jahren vor 1998 «zahlreiche Versuche , um Schuldenstand und Haushaltsdefizit zu senken» und die Maastricht-Konvergenzkriterien zu erfüllen – Maximalverschuldung von 60 Prozent des BIP, maximales Haushaltsdefizit von drei Prozent des BIP.
Diese mussten erfüllt sein, bevor am 1. 1. 1999 Umrechnungskurse der nationalen Währungen zum neuen Euro fixiert werden sollten. Frankreich etwa beschloss, sich 37,5 Milliarden Francs von der staatlichen France Télécom überweisen zu lassen. Deutschland wollte den Goldschatz der Bundesbank neu bewerten – «um damit den Referenzhaushalt 1997 zu schönen», wie Winkler notiert, was allerdings am Widerstand der Notenbanker scheiterte.
Italien oder Belgien erfüllten die Maastricht-Kriterien ebenfalls nicht. In die Währungsunion kamen sie trotzdem. «Aus übergeordneten politischen Gründen schob Bonn alle Bedenken gegen die Euroreife Italiens wie auch Belgiens beiseite», schreibt Winkler, «beide Länder waren Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; ein Ausscheiden aus der ersten Runde der Teilnehmerstaaten der gemeinsamen europäischen Währung hätte für sie eine nationale Demütigung bedeutet.»
III. Der grösste Sündenfall: Griechenland
Im Jahr 2000 gelang es Griechenland, seine Aufnahme in die Wirtschafts- und Währungsunion mit Wirkung vom 1. Januar 2001 zu erreichen. Die sozialistische Regierung hatte der EU einfach gefälschte Zahlen vorgelegt. Der kreative Akt bestand darin, dass bei der Berechnung des Defizits grosse Teile der Militärausgaben einfach ausgeblendet worden waren. «Die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion», urteilt Historiker Winkler, «war ein Fall von Staatsbetrug.»
Aber auch bei der EU ortet der Historiker grosse Mitverantwortung: «Angesichts der notorischen Unzulänglichkeit des griechischen Verwaltungsapparats wäre eine kritische Überprüfung der angeblichen Defizitsenkung durch die anderen Eurostaaten unumgänglich gewesen. Dass sie unterblieb, bedeutete ein politisches Versagen aller an der Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion beteiligter Regierungen und Institutionen – ein weit krasseres Versagen, als man es den Verantwortlichen auch schon anlässlich der Hinnahme der italienischen Manipulationen von 1996/97 attestieren muss.» Mehr noch: «Gut ein Jahrzehnt lang hatte Griechenland die Misere seiner Staatsfinanzen gegenüber der EU verschleiert», schreibt der Historiker weiter, «und sich auf diese Weise die Aufnahme in die Eurozone erschlichen.»
Heute stellt sich die Frage, ob die Betrüger in Athen die EU immer wieder vor sich hertreiben, der neue Premier Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Säckelmeister Wolfgang Schäuble weiter brüskieren können. Gestern schien es, dass die EU nun Härte walten lassen und harte Bedingungen diktieren will. Endlich das Ende des griechischen Spiels?