In wenigen Wochen packt Martin Dahinden (64) seine Koffer. Die Mission Washington ist für den Schweizer US-Botschafter nach fünf Jahren beendet. Zeit, Bilanz zu ziehen. BLICK hat Dahinden auf der Schweizer Botschaft zum Abschlussinterview besucht, sprach mit ihm über Donald Trump, seinen komplizierten Start mit der Obama-Administration, die Imageprobleme der Schweiz in den USA und seine Zukunftspläne als Rentner.
BLICK: Sie haben mal in einem Vortrag gesagt, dass Sie jeden Tag mit den Tweets von Donald Trump aufwachen. Sind Sie froh, dass Sie bald beruhigt ausschlafen können?
Martin Dahinden: Keine Sorge, ich habe auch in Washington ganz gut geschlafen (lacht). Es ist nicht so, dass der US-Präsident mit seinen Tweets mein Leben bestimmt hat. Mit dieser Aussage wollte ich zeigen, dass Donald Trump ganz anders kommuniziert, als es Barack Obama tat. Er hat die Begabung, mit einem Tweet den Nachrichtenverlauf des Tages nicht nur zu beeinflussen, sondern zu bestimmen. So befinden sich die USA zweieinhalb Jahre nach den Wahlen immer noch in einer Art Wahlkampf.
Sie haben inmitten Obamas zweiter Amtszeit übernommen und verlassen nun Washington nach gut zwei Jahren Donald Trump. Wie fällt der Vergleich aus?
Ende 2014 war in den USA innen- wie auch aussenpolitisch sehr viel blockiert. Da hat sich abgezeichnet, dass es Obama nicht gelingen wird, seine politische Agenda vollständig umzusetzen. Er sah sich als Präsident, der die grossen Themen wie Gesundheits- oder Migrationspolitik endlich anpacken würde. Nicht alles hat er geschafft.
Kritische Worte an die Adresse von Obama. Ist er gescheitert?
Das würde ich nicht sagen. Bei seinem Amtsantritt im Januar 2009 musste er gleich die Finanzkrise und in der Folge eine tief gehende Rezession mit einem Krisenmanagement meistern – acht Millionen Amerikaner hatten damals ihre Stelle verloren. Und dann folgte der Machtwechsel im Kongress, plötzlich waren die Republikaner in der Mehrheit. Präsident Trump startete unter besseren Voraussetzungen.
Hat er etwas daraus gemacht?
Er hat mit seiner Partei zum Beispiel eine grosse Steuerreform realisiert. Es liegt aber nicht am Schweizer Botschafter, diese positiv oder negativ zu werten.
Sie haben beide Präsidenten auch persönlich getroffen. Wer hat Sie mehr beeindruckt?
Präsident Trump bin ich mehrfach begegnet, ohne jedoch eine vertiefte Unterhaltung zu führen. Mit Präsident Obama konnte ich mich 2014 länger austauschen, als er mich und meine Familie ins Weisse Haus einlud, um mein Beglaubigungsschreiben zu unterzeichnen. Er kannte die Namen meiner Kinder und meiner Frau und interessierte sich besonders für Themen der Entwicklungszusammenarbeit. Er wusste, dass ich vorher Direktor der Deza (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Anm. d. Redaktion) gewesen war. Diese Begegnung hat mich sehr beeindruckt – ein echtes Highlight.
Dabei haben Sie Obama zu einer für die Schweiz schwierigen Zeit getroffen.
Ja, das war ein komplizierter Start. Die Banken- und Steuerproblematik hat das Verhältnis enorm belastet. Wissen Sie, es ist kein Problem, wenn man unterschiedlicher Auffassung ist mit Washington. Wenn man aber als kleines Land wie die Schweiz im Fokus der Weltmacht USA steht, dann kann es ganz schön ungemütlich werden.
Wie hat sich das konkret geäussert?
Es gab im Wahlkampf zum Beispiel Plakate mit der Aufschrift: «Vertrauen Sie nicht dem Menschen mit dem Schweizer Bankkonto.» Das zeigte unser Imageproblem – und das wollte ich korrigieren.
Das ist Ihnen offenbar gelungen. Im Mai wurde Ueli Maurer als erster Schweizer Bundespräsident überhaupt im Weissen Haus empfangen.
Ein historischer Moment, der nicht zufällig zustande kam. Wir haben über Jahre hinweg systematisch an unserem Image gearbeitet. Kaum jemand hat hier 2014 realisiert, dass die Schweiz der siebtgrösste Investor in den USA ist. Oder dass die durch Schweizer Firmen erschaffenen Jobs in Amerika die höchsten Durchschnittseinkommen aufweisen. Heute ist das den politischen Entscheidungsträgern in Washington bewusst. Die Trump-Regierung schätzt die Schweiz.
Und will mit Ihnen nun ein Freihandelsabkommen verhandeln?
Beide Länder würden davon profitieren. Wir haben bereits gute wirtschaftliche Beziehungen und wollen diese nun intensivieren. Das Treffen von Bundespräsident Maurer und Präsident Trump war enorm wichtig, weil wir so zum ersten Mal das Thema Freihandelsabkommen auf höchster Stufe ansprechen konnten.
Aber in den offiziellen US-Verlautbarungen wurden die Freihandelsgespräche mit keinem Wort erwähnt. Nur die Schweizer Rolle als Vermittlerin wurde hervorgehoben. Trump ging es doch nur um den Iran.
Das behaupten Sie. Ich kann Ihnen versichern: Für die Amerikaner wie für uns standen die Wirtschaftsbeziehungen im Zentrum. Natürlich wurden aktuelle Themen wie der Iran und Venezuela angesprochen, dies aber nur am Rande.
Martin Dahinden (64) ist seit Oktober 2014 Schweizer Botschafter in Washington. Ende August 2019 geht er in Rente. Vor seiner Amtszeit in der US-Hauptstadt war er Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Der zweifache Familienvater und Betriebswirt ist 1987 in den diplomatischen Dienst eingestiegen. Er war Mitglied der Delegation beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Gatt, Direktor des Internationalen Zentrums für humanitäre Minenräumung in Genf und auf der Schweizer Botschaft in Frankreich und in Nigeria sowie bei der Uno-Mission der Schweiz in New York und als stellvertretender Leiter der Mission bei der Nato in Brüssel tätig.
Martin Dahinden (64) ist seit Oktober 2014 Schweizer Botschafter in Washington. Ende August 2019 geht er in Rente. Vor seiner Amtszeit in der US-Hauptstadt war er Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Der zweifache Familienvater und Betriebswirt ist 1987 in den diplomatischen Dienst eingestiegen. Er war Mitglied der Delegation beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Gatt, Direktor des Internationalen Zentrums für humanitäre Minenräumung in Genf und auf der Schweizer Botschaft in Frankreich und in Nigeria sowie bei der Uno-Mission der Schweiz in New York und als stellvertretender Leiter der Mission bei der Nato in Brüssel tätig.
Wie nahe sind wir nun einem Freihandelsabkommen?
Es werden weiter Gespräche geführt. Auch als US-Aussenminister Mike Pompeo Bundesrat Cassis im Juni in der Schweiz besuchte, war der Freihandel ein Thema. Aber einen offiziellen Verhandlungsstart gibt es noch nicht zu vermelden. In den USA ist es halt so, dass die Verhandlungen mit China und die Ratifizierung des Deals mit Mexiko und Kanada enorm viele Kapazitäten beanspruchen.
Geben Sie uns bitte einen Zeitrahmen: Hat die Schweiz Ende 2021 ein Freihandelsabkommen mit den USA?
Ich kann dazu keine Prognosen machen.
Die Chance besteht nur, wenn Trump wiedergewählt wird. Sie und die offizielle Schweiz müssen also hoffen, dass er eine zweite Amtszeit erhält.
Wir haben keinen Einfluss auf den Ausgang der US-Wahlen. Deshalb möchte ich mich dazu auch nicht äussern.
Aber ist es nicht so, dass ein Regierungswechsel alle Vorbereitungen betreffend Freihandelsabkommen über den Haufen werfen würde?
Klar würde es Veränderungen geben. Aber es hängt auch davon ab, wer Nachfolgerin oder Nachfolger würde. Die Demokraten haben ein riesiges Spektrum unter ihren Kandidaten, ganz unterschiedliche Positionen werden vertreten. Es ist noch früh und noch lange nicht klar, wer parteiintern das Rennen machen wird. Deshalb ist es für mich unmöglich abzuschätzen, was die Auswirkungen für die Schweiz wären.
Was war die verrückteste Geschichte, die Sie in Washington erlebt haben?
Im Rahmen unseres jährlichen Grossanlasses «Soirée Suisse» wollten wir vergangenes Jahr den Schweizer Koch Henry Haller ehren. Er kochte in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren im Weissen Haus für fünf verschiedene US-Präsidenten. Weil Henry Haller schon 96 Jahre alt ist, konnten wir es nicht irgendwo machen. Also habe ich beim Weissen Haus angefragt, ob wir die dortige Küche benutzen dürften. Alle haben hier auf der Botschaft gesagt, dass ich doch einen an der Waffel hätte (lacht). Aber es hat letztlich geklappt. Das war ein wunderbarer Abend.
Jetzt heisst es Abschied nehmen. Ende August geht es für Sie zurück. Freuen Sie sich auf die Schweiz?
Ich werde die Ruhe in der Berner Altstadt geniessen und freue mich, alte Freunde zu treffen, die ich länger nicht mehr gesehen habe. Dann will ich auch viel wandern gehen. Das ist eine meiner grossen Leidenschaften, die hier in Washington zu kurz kam.
Sie haben eine lange Karriere hinter sich. Ist Martin Dahinden ab September 100 Prozent Rentner?
Nein, ich habe bereits Projekte, auf die ich mich sehr freue. Ich habe an der Universität Zürich einen Lehrauftrag über Schweizerische Sicherheitspolitik. Und ich werde mich in der Beratungsgruppe der Unicef engagieren. Langweilig wird es mir also auch in der Schweiz nicht.
Die USA gelten nach Deutschland als zweitwichtigster Handelspartner der Schweiz. Trotz des regen wirtschaftlichen Austausches besteht zwischen der Schweiz und den USA kein Freihandelsabkommen. 2006 wurden Pläne für ein Abkommen vor allem wegen des Widerstands aus der Schweizer Landwirtschaft abgebrochen.
Jetzt nimmt die Schweiz einen neuen Anlauf. Für die hiesige Wirtschaft steht viel auf dem Spiel: Jährlich werden Ausfuhren im Wert von über 40 Milliarden Franken über den Atlantik exportiert. Auf der Gegenseite importierte die Schweiz 2018 nur Waren im Wert von knapp 21 Milliarden Franken.
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