In der EU brodelts auf höchster Ebene. Nicht einer der von den beiden grössten Parteien vorgeschlagenen Kandidaten soll EU-Kommissionspräsident werden, sondern die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (60). Diesen überraschenden Vorschlag machten die europäischen Staats- und Regierungschefs diese Woche.
Die EU-Parteien EVP und S&D fühlen sich verschaukelt. Es galt als gesetzt, dass einer ihrer Spitzenkandidaten das EU-Ratspräsidium von Jean-Claude Juncker (64) übernehmen sollte. Die Rede ist von Trickserei der Staats- und Regierungschefs.
«Macrons Glaubwürdigkeit leidet»
Der Ärger richtet sich vor allem gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron (41), der von der Leyen ins Spiel brachte, weil sie frankophon und eine Frau ist und er so sein Image als EU-Reformer pflegen kann. Martin Schulz (63), ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, kocht, weil Macron offenbar einen Deal mit dem rechtspopulistischen ungarischen Präsidenten Victor Orban (56) eingegangen ist.
Sozialist Schulz wettert in einem Interview in der «Bild»-Zeitung: «Macron kreide ich an, dass er sich bei aller europäischen Grundstimmung als knochenharter französischer Machtpolitiker entpuppt hat. Wenn es stimmt, was ich höre, nämlich dass Macron den Von-der-Leyen-Vorschlag zunächst mit Herrn Orban besprochen hat, dann muss man feststellen, dass seine Glaubwürdigkeit schweren Schaden erlitten hat. Man kann sich nicht auf der einen Seite ständig als Anführer gegen dieses politische Lager gerieren, und dann auf der anderen Seite mit diesen Leuten Deals machen.»
«Ein unfreundlicher Akt»
Dass nicht einer der beiden Spitzenkandidaten der Parteien nominiert wurde, sehen viele als ein Schlag gegen die Demokratie. So kritisiert auch der ehemalige bayerischen Ministerpräsident Edmund Stoiber (77) in einer «Bild»-Kolumne: «Die Art und Weise, wie besonders Frankreichs Präsident Macron das Prinzip der Spitzenkandidatur missachtet und gegen den Wahlsieger Manfred Weber agitiert hat, war ein unfreundlicher Akt und eines vermeintlich proeuropäischen Präsidenten nicht angemessen.»
Die beiden grössten EU-Parteien hatten folgende Politiker als Spitzenkandidaten nominiert: Die EVP den bayerischen CSU-Politiker Manfred Weber (46) und die S&D den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermanns (58).
«Es kann noch schief gehen»
Der Streit ist noch nicht ausgestanden. Er könnte sich sogar ausweiten. Die von den Staats- und Regierungschefs vorgeschlagene Ursula von der Leyen muss im Europaparlament an der nächsten Plenartagung vom 16. Juli gewählt werden. Sicher ist ihre Wahl noch lange nicht. Stoiber ist beunruhigt: «Tatsächlich kann es noch schief gehen.» (gf)