Der französische Präsident macht Berlin zum Nebenschauplatz
«Rocky» Macron drängt Scholz in die Ecke – und verändert so Europa

Die Aufnahme mit Emmanuel Macron als Boxer ist nicht einfach nur ein Foto. Der französische Präsident hat im europäischen Machtkampf die Deutschen hinter sich gelassen. Wir zeigen, welche Auswirkungen der Machtwechsel auf Europa und die Schweiz haben wird.
Publiziert: 21.03.2024 um 21:05 Uhr
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Aktualisiert: 21.03.2024 um 21:08 Uhr
Macron am Boxsack: Das Bild stammt von seiner Hausfotografin Soazig de la Moissonnière.
Foto: Soazig de la Moissonnière
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Guido FelderAusland-Redaktor

Kohl, Schröder, Merkel: Jahrzehntelang gaben die deutschen Kanzler in Europa den Ton an. Das hat sich geändert. Olaf Scholz (65) hat mit einer zerstrittenen Regierung einen unsicheren Auftritt, verlor am Mittwoch bei der Eröffnung der Buchmesse in Leipzig nach Zwischenrufen sogar die Nerven und rief: «Hör auf zu brüllen, Schluss.»

Ganz anders Emmanuel Macron (46). Der französische Präsident boxt innenpolitisch in einem Kraftakt eine hochumstrittene Rentenreform durch und nimmt auch im Ukraine-Krieg mit Aussagen, etwa zu Bodentruppen für die Ukraine, das Heft in die Hand.

Wie um zu betonen, dass er ein starker Typ ist, hat er sich als muskelbepackter Boxer ablichten lassen. Das Schwarz-weiss-Foto strotzt nur so von Symbolik: Der Junior-Partner überholt den Senior. Der Grund für Macrons Wachstumsschub könnte ausgerechnet seine Unbeliebtheit sein. Eine Analyse.

Für Gilbert Casasus (68), emeritierter Professor für Europastudien, ist klar, dass Paris Berlin den Rang abgelaufen hat. «Aussenpolitisch ist Macron seinem deutschen Kontrahenten aufgrund seiner Präsenz auf der diplomatischen Bühne um einiges überlegen», sagt der schweizerisch-französische Doppelbürger. 

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Schon vor zwei Jahren streifte sich Emmanuel Macron die Handschuhe über und duellierte sich mit einem Amateurboxer ausserhalb von Paris.
Foto: AFP

Punkten könne Macron vor allem mit seinem Intellekt, dessen Komponente in der französischen Politik eine wichtigere Rolle spiele als in Deutschland. Casasus: «Macron möchte seine intellektuelle Ausstrahlung auf ganz Europa ausdehnen. Und dies ist ihm teils gelungen.»

Atombombe verleiht Macht

Zu Macrons grossen Trümpfen gehört die Atombombe, die seit dem Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine ins Zentrum der europäischen Verteidigung gerückt ist. Paris hat angeboten, den nuklearen Abwehrschirm auf Europa auszudehnen, was in Berlin bisher auf taube Ohren gestossen ist.

Andere Staaten, die bisher eine Zusammenarbeit mit Deutschland bevorzugt hatten, stehen der Idee sowie auch der Idee von Bodentruppen in der Ukraine wohlwollend gegenüber. Dazu gehören die baltischen Staaten, aber auch Polen und die Tschechische Republik. 

Seine offensive Aussenpolitik benützt Macron aber auch dazu, von innenpolitischen Problemen und seiner Unbeliebtheit abzulenken. «Sein Plan, zugleich die politischen Interessen der Konservativen und der Linken zu vertreten, ist nach sieben Amtsjahren kläglich gescheitert», meint Casasus. Bei den nächsten Wahlen 2027, wo Macron wegen Amtszeitbeschränkung nicht mehr antreten kann, hat die rechtsextreme Marine Le Pen (55) grosse Chancen, gewählt zu werden.

Schweiz hat Chance verpasst

Für Europa ist das Aufstreben Frankreichs von Vorteil. «Im Militärbereich ist die Einflussnahme und hauptsächlich die Glaubwürdigkeit Frankreichs grösser als diejenige Deutschland», sagt Casasus. Frankreich sei bei diesem Thema innerhalb der EU federführend und bestimme mittel- oder langfristig die Verteidigungspolitik der Europäischen Union. 

Für die Schweiz hat die Wachablösung an der Europa-Spitze kaum Auswirkungen. Casasus: «Deutschland und Frankreich betrachten die Schweiz nach wie vor als politischen Zwerg. Und dies zum Nachteil unseres Landes, das sich intellektuell, kulturell, sprachlich, gar wirtschaftlich als Bindeglied zwischen diesen beiden Ländern hätte etablieren können.» 

Dass Macron seinen Einfluss auf Europa ausbauen und Putin die Stirn bieten will, zeigt nicht zuletzt das Box-Foto. Casasus sagt über Macrons Ambitionen: «Er möchte als grosser Europäer in die Geschichte eingehen. Und befindet sich hier auf gutem Wege.»


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