Der Bundesrat wankt bei Sanktionen
Ukraine-Krisensitzung am Montag

Der Druck auf die Regierung, die Sanktionen des Westens gegen Russland mitzutragen, wächst. Washington und Brüssel drängen auf einen Kurswechsel.
Publiziert: 27.02.2022 um 01:33 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2022 um 11:50 Uhr
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Ein Bild aus einer anderen Zeit: Russlands Aussenminister Sergei Lawrow, Russlands Präsident Wladimir Putin, Bundesräte Parmelin und Cassis (von links).
Foto: AFP
Interview: Camilla Alabor und Simon Marti

Während die Ukraine um ihre Freiheit kämpft und sich in Kiew bereits Zivilisten den russischen Invasoren entgegenstellen, ringt die Schweizer Landesregierung um Worte – bislang allerdings erfolglos: Ihre Auslegung der Neutralität wird weder im Aus- noch im Inland verstanden.

Das scheint auch dem Bundesrat selbst mittlerweile klar geworden zu sein. SonntagsBlick weiss: Morgen trifft er sich zu einer ausserordentlichen Sitzung, um die angemessene Reaktion auf Putins Angriff festzulegen.

Schweiz zögert

Washington und Brüssel ziehen fortwährend die Schraube gegen die Aggressoren an. Der Westen belegt Wladimir Putin (69) und seinen Aussenminister Sergei Lawrow (71) persönlich mit Sanktionen – derweil die Schweiz noch nicht einmal russische Konten einfrieren will. Auch die EU-Sanktionen will der Bundesrat nicht übernehmen, sondern lediglich deren Umgehung verhindern.

Nicht nur im linken Lager, auch in den Reihen der Bürgerlichen stösst diese Haltung auf Unverständnis. Bereits am Donnerstag liess Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59, ZG) verlauten, es reiche nicht aus, lediglich die Umgehung von Sanktionen zu verhindern:«Wichtig ist, dass die Sanktionen die russische Elite treffen, die Putin finanziert. Die Schweiz darf nicht der europäische Businesshub für Russlands Krieg werden.»

Kritik von allen Seiten

FDP-Chef Thierry Burkart (46), Parteikollege von Aussenminister Ignazio Cassis (60), stösst ins gleiche Horn, wenn er sagt: «Die Position der Schweiz wird bei unseren westlichen Partnern nicht verstanden. Ich hoffe, der Bundesrat bessert nach und schliesst sich den Sanktionen der EU vollumfänglich an.» Dies, so macht der Aargauer Ständerat deutlich, sei kein Verstoss gegen das Schweizer Neutralitätsrecht.

Der Regierung steht also eine schwierige Diskussion bevor. Noch am Freitag machte Cassis deutlich, dass er an seinem zurückhaltenden Kurs festhalten wolle. Was die Schweiz mache, werde «von allen Staaten verstanden», da die Eidgenossenschaft ein Schutzmachtmandat von Russland und Georgien innehabe.

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Cassis sieht offenbar eine Chance, dank eines weichen Kurses gegenüber Russland die Guten Dienste der Schweiz ins Zentrum zu rücken: «Wir schauen schon in die nächste Geländekammer.»

Kann Cassis Russlands Aussenminister umstimmen?

Allem Anschein nach denkt der Tessiner dabei an den Uno-Menschenrechtsrat, der am Montag in Genf zusammenkommt. Russlands Aussenminister Sergei Lawrow ist dort als Redner nach wie vor angemeldet. Sollte er tatsächlich anreisen, möchte Cassis die Gelegenheit ergreifen, ihn zum Einlenken zu bringen.

Währenddessen stellen Cassis’ Kollegen fest, dass die Zurückhaltung der Schweiz je länger, je schwieriger zu vermitteln ist.

Entgegen der Aussage von Cassis ist das Verständnis aus dem Ausland für den Schweizer Sonderweg gleich null, wie Vertreter der USA und der EU deutlich machten. Die US-Botschaft schrieb am Freitag auf Anfrage, dass sie keine diplomatischen Gespräche kommentiere, aber: Man ermutige die Schweiz, sich der gemeinsamen Reaktion anzuschliessen. Die USA würden Russland in Abstimmung mit Verbündeten und Partnern beispiellose Kosten auferlegen, so die Botschaft weiter.

Internationale Medien kritisieren Bund

Petros Mavromichalis, EU-Botschafter in Bern, teilt mit, er hoffe, dass die Schweiz «Mut und Entschlossenheit» zeige und die EU-Sanktionen unterstütze. Es gehe bei diesem Krieg um Europa als Kontinent, «also auch um die Sicherheit und Stabilität der Schweiz».

In den internationalen Medien fiel die Kritik nach dem Entscheid des Bundesrats ebenfalls harsch aus. «Das Verhalten der Schweiz ist mit Neutralität nicht zu entschuldigen», schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Dass die Schweiz, «eine wichtige Anlaufstelle für Banken, Investoren und Superreiche aus Russland», die EU-Sanktionen nicht komplett übernehme, sei «skandalös».

Nicht nur Ignazio Cassis steht im Bundesrat unter Druck, auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) zog am Donnerstag den Unmut seiner Kollegen auf sich.

Parmelin in der Kritik

Gemäss mehreren Quellen hatte es sein Departement versäumt, die einberufene Krisensitzung ausreichend vorzubereiten. So lagen seinen Bundesratskollegen vor der Sitzung keinerlei Anträge vor – womit dem Gremium die Grundlage fehlte, über konkrete Sanktionen zu entscheiden. Dies dürfte einer der Gründe für die laue Antwort der Schweiz auf die russische Aggression sein.

«Die Landesregierung war schlicht nicht vorbereitet», kritisiert der Co-Präsident der SP, Cédric Wermuth (36). «Obwohl die Amerikaner und die Europäer deutlich vor einer Invasion gewarnt hatten, war die Schweiz nicht parat, angemessen auf den russischen Einmarsch zu reagieren», so der Aargauer Nationalrat.

Parmelins Parteikollege Ueli Maurer (71) lebte derweil am Donnerstagabend bei einem Fernsehauftritt seine Lust an der Provokation aus – auch dies zum Ärger mancher Amtskollegen.

Wie lange bleibt die Ratlosigkeit?

Wladimir Putin habe «einen der besten Aussenminister», verkündete der Finanzminister am Tag des Kriegsausbruchs. Zudem unterstellte Maurer, der während seines Präsidialjahrs nach Russland gereist war, dem Bundesrat «hohe Ratlosigkeit» in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine.

Ob Maurer und seine Kollegen diese Ratlosigkeit überwinden können, wird sich bereits am Montag zeigen.

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