Der beliebteste Badeort der Türkei erlebt die schlimmste Saison seit Jahrzehnten
Antalya geht baden

Nur London und Paris besuchen mehr Menschen als Antalya. Doch dieses Jahr verlor die Stadt an der türkischen Riviera vier Millionen Touristen. Ein Augenschein vor Ort.
Publiziert: 10.10.2016 um 23:53 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 04:40 Uhr
«Wenn sich nichts ändert, muss ich nächstes Jahr zu machen»
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Touristen-Aus in der Südtürkei:«Wenn sich nichts ändert, muss ich nächstes Jahr zu machen»
Adrian Meyer (Text) und Stefan Bohrer (Fotos)

Im Swimmingpool des ­Hotels Kervansaray Kundu Beach schwimmen Frösche. Das Wasser schimmert grün, Algen treiben darin. Ein Gärtner wässert Pflanzen. Sonst ist niemand zu sehen. Auf einer Tafel steht: «Wassertemperatur 29 Grad». Der Eintrag stammt vom 31. Juli.

Das Hotel an der türkischen Riviera, zehn Kilometer östlich von Antalya, schloss im Sommer. Mitten in der Hochsaison. Es ist ein All-inclusive-Bunker aus Stahl und Glas, wie hier Dutzende nebeneinanderstehen. Und ein offensichtliches Zeichen dafür, dass etwas im Argen liegt.

Der türkische Küstenort Antalya erlebt die schlimmste Saison seit Jahrzehnten. Nach den Anschlägen in Istanbul und Ankara stornierten Tausende ihre Reservationen. Der Putschversuch im Juli hielt weitere fern. Laut Daten des Flughafens Antalya landeten bis Ende September 4,7 Millionen Gäste in der beliebtesten Tourismusregion der Türkei – 4,1 Millionen weniger als letztes Jahr.

In den Hotelanlagen am Lara Beach scheint zunächst alles wie immer: Gäste aus Deutschland, der Schweiz, Holland und Grossbritannien dösen in der Sonne, planschen im Wasser, steigen auf Jetskis. Alles entspannt. Doch selbst in den Herbstferien bleiben unzählige Liegestühle leer. Am Strand, wo sich sonst Massen drängen, werfen Fischer ihre Angeln aus. Aus Angst vor
Anschlägen fliegen Sonnenhungrige lieber nach Spanien oder Griechenland.

Bisher vom Terror verschont

«Wer die Türkei kennt, hat keine Angst», sagt Sedat Arasan (53), Besitzer von Barracuda’s Watersports. Er betreibt eine Surfschule und bietet Jetskis an. Lächelnd sagt er: «In Angst solltest du eh nicht leben, es kann dich auch im Bett er­wischen.» Seit 30 Jahren betreibt er sein Geschäft. So schlimm wie dieses Jahr, sagt er, war es nie. Mit 50 Prozent weniger Umsatz hat Arasan die Saison nur knapp überstanden.  Andere hätten noch weniger verdient. Jetzt bleibt ihm nur die Hoffnung auf nächstes Jahr. «Es darf bloss keinen Anschlag mehr geben.»

Antalya blieb bisher vom Terror verschont. Viele Badende haben dennoch ein mulmiges Gefühl. Die unschlagbaren Preise lockten sie hierher. Eine Woche All-Inclusive gibts für 450 Euro, samt Flug. Und die Gastfreundschaft: Die Türken geben sich dieses Jahr besonders viel Mühe, der Service sei top.

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Mitten in der Hochsaison schloss das Hotel Kervansaray Kundu Beach in Antalya.
Foto: STEFAN BOHRER

Auf einer künstlichen Insel des Swimmingpools des Baia-Lara-Hotels fläzen Patrick Wicki (45) und Priska Theiler (45) aus Büron LU auf Liegestühlen.

Ursprünglich buchten sie die Ferien zu neunt. «Wegen der Vorfälle in der Türkei haben ­sieben abgesagt», sagt Wicki. Die Kinder ihrer Freunde bekamen Angst, nachdem in der Schule der Putschversuch thematisiert worden war. Nun seien sie halt zu zweit hier. «Warum nicht? Wir wollten nochmals Sonne tanken. Anschläge können überall passieren.»

Das Herz von Antalya schlägt nur für den Tourismus. Doch ihm geht das Blut aus. Weil Gäste kaum die Hotels verlassen, sind die Folgen am unteren Ende der touristischen Nahrungskette brutal.

Wer vom Strand ins Stadtzentrum fährt, passiert halbfertige Viertel. Wie Skelette stehen die Bauruinen da, Strassen führen ins Nichts. An Ladenlokalen am Stadtrand prangen Schilder des Niedergangs: «kiralik» und «satilik» – zu vermieten, zu verkaufen. Die einst boomende Stadt wirkt an ihren Rändern wie eine Brachlandschaft.

Etwa 80 Prozent weniger Kunden

Heil scheint die Welt noch in der Altstadt zu sein. Die Altbauten sind renoviert, die Strassen blitzblank. Doch wo sich sonst Bummler und Schnäppchen­jäger auf den Hacken stehen, herrscht gähnende Leere. Vor ihren Läden spielen Verkäufer Backgammon, trinken Tee, warten auf Kundschaft. Freundlich, aber unaufdringlich bieten sie ihre Ware an. «Komm Bruder, tritt ein», sagen sie auf Deutsch, wenn man sie grüsst.

Im Yasmin Organik Tekstil bietet Nihat Subakan (40) Hamam-Tücher und Geschenkartikel an. «Wir verdienen noch 40 bis 50 Euro am Tag», sagt er. Damit sich sein Geschäft lohnt, müsste er 400 Euro einnehmen. Etwa 80 Prozent weniger Kunden kämen. Er könne kaum die Miete bezahlen. «Ich hoffe, nächstes Jahr wird alles wieder gut.»

Gleich daneben winkt uns Özden Kose (46) freundlich zu sich. Der Tuchhändler verkauft seit Jahrzehnten Stoffe. «Es macht uns so traurig, wir leben von den Schweizer Gästen, aber die kommen einfach nicht mehr.» Fünf bis zehn Tücher verkauft er noch am Tag. Das reicht nicht, um die Schulden zu bezahlen. Noch so eine Saison, und er muss den Laden schliessen. So weit werde es nicht kommen, sagt er. «Nächstes Jahr kommen die Schweizer wieder. Sie haben ein gutes Herz.»

Schweizer meiden die Türkei: 70% weniger Buchungen

Vor kurzem war sie noch eines der beliebtesten Reiseziele, jetzt kehren Schweizer Touristen der Türkei den Rücken. «Für die Destination Türkei war das Jahr 2016 eine Katastrophe», sagt Kuoni-Sprecher Marcel Schlatter.

Um 65 Prozent brachen die Buchungen bei Kuoni ein. Noch drastischer ist der Rückgang bei Hotelplan: 2016 reisten 70 Prozent weniger Schweizer in die Türkei als im Vorjahr.

Dabei blühte in den Jahren zuvor der Tourismus. Vor allem an der Südküste wurden massenhaft neue Hotels und Ressorts hochgezogen und alte ­renoviert. «Ab 2010 setzte ein Trend vom westlichen zum östlichen Mittelmeer ein», sagt Hotelplan-Sprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir. Jährlich steigen die Buchungen im zweistelligen Prozentbereich.

2014 verzeichnete die Türkei fast 400'000 Einreisen aus der Schweiz – mehr als Griechenland. Im Spitzenmonat Juli 2015 reisten laut dem türkischen Tourismus-Ministerium 5,5 Millionen ausländische Besucher ins Land.

Davon können die Türken heute nur noch träumen. Im Juli 2016 kamen noch 3,5 Millionen Touristen – ein Rückgang um 36 Prozent. «Als nach den Terroranschlägen auch noch der Putschversuch kam, war das zu viel für die Tou­risten», sagt Kuoni-Sprecher Schlatter. 

Vor kurzem war sie noch eines der beliebtesten Reiseziele, jetzt kehren Schweizer Touristen der Türkei den Rücken. «Für die Destination Türkei war das Jahr 2016 eine Katastrophe», sagt Kuoni-Sprecher Marcel Schlatter.

Um 65 Prozent brachen die Buchungen bei Kuoni ein. Noch drastischer ist der Rückgang bei Hotelplan: 2016 reisten 70 Prozent weniger Schweizer in die Türkei als im Vorjahr.

Dabei blühte in den Jahren zuvor der Tourismus. Vor allem an der Südküste wurden massenhaft neue Hotels und Ressorts hochgezogen und alte ­renoviert. «Ab 2010 setzte ein Trend vom westlichen zum östlichen Mittelmeer ein», sagt Hotelplan-Sprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir. Jährlich steigen die Buchungen im zweistelligen Prozentbereich.

2014 verzeichnete die Türkei fast 400'000 Einreisen aus der Schweiz – mehr als Griechenland. Im Spitzenmonat Juli 2015 reisten laut dem türkischen Tourismus-Ministerium 5,5 Millionen ausländische Besucher ins Land.

Davon können die Türken heute nur noch träumen. Im Juli 2016 kamen noch 3,5 Millionen Touristen – ein Rückgang um 36 Prozent. «Als nach den Terroranschlägen auch noch der Putschversuch kam, war das zu viel für die Tou­risten», sagt Kuoni-Sprecher Schlatter. 

Erdogan, Erdogas

Istanbul – Zum ersten Mal seit ihrer Versöhnung vor zwei Monaten trafen sich gestern der türkische  Präsident Recep Tayyip Erdogan (62) und Russlands Präsident Wladimir Putin (64) in Istanbul. Zur Hauptsache ging es um Geschäfte: Erdogan will sein Land «mit umfangreichen Investitionen zum Erdgas- und Energiehandelszentrum» machen, wie er sagte. Dazu braucht er die Russen. Zur Offensive gehört die Pipeline Turkish Stream, die russisches Erdgas nach Südeuropa bringen soll. Putin und Erdogan besiegelten das Grossprojekt – jetzt, da man es wieder gut miteinander hat.

TURKEY-POLITICS-WORLD-ENERGY-CONGRESS
Zusammen voller Energie: Erdogan (l.) und Putin gestern in Istanbul.
Kayhan Ozer

Istanbul – Zum ersten Mal seit ihrer Versöhnung vor zwei Monaten trafen sich gestern der türkische  Präsident Recep Tayyip Erdogan (62) und Russlands Präsident Wladimir Putin (64) in Istanbul. Zur Hauptsache ging es um Geschäfte: Erdogan will sein Land «mit umfangreichen Investitionen zum Erdgas- und Energiehandelszentrum» machen, wie er sagte. Dazu braucht er die Russen. Zur Offensive gehört die Pipeline Turkish Stream, die russisches Erdgas nach Südeuropa bringen soll. Putin und Erdogan besiegelten das Grossprojekt – jetzt, da man es wieder gut miteinander hat.

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