Salutschüsse knallten durch die Luft am Tiananmen-Platz. 70 Stück – einer für jedes Jahr Volksrepublik China. Staatschef Xi Jinping (66) liess sich bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag auch sonst nicht lumpen: 15'000 Soldaten liess er zur Giga-Militärparade am Platz des Himmlischen Friedens in Peking aufmarschieren sowie 580 Panzer, Waffensysteme und nuklear bestückbare Interkontinentalraketen auffahren.
«Niemand kann das chinesische Volk und die chinesische Nation auf ihrem Weg nach vorne stoppen», zeigte sich Xi Jinping bei seiner Ansprache auch mit Worten kämpferisch. Und er betonte: «Keine Macht kann die Grundfeste dieser grossartigen Nation erschüttern.»
Und damit meint der Staatschef offenbar auch: Nicht mal das chinesische Volk kann ihn auf seinem Weg stoppen. Denn während die kommunistische Führung in Peking militärische Stärke und absoluten Machtanspruch demonstriert, eskaliert die Situation in Hongkong.
Demokratie-Aktivist in Hongkong angeschossen
Am späten Nachmittag (Ortszeit) meldet die «South China Morning Post», ein Demonstrant sei niedergeschossen worden. Ein Video, das in sozialen Netzwerken geteilt wird, zeigt, wie ein Polizist aus nächster Nähe eine Pistole auf Brusthöhe auf ihn abfeuert, Szenen zeigen ihn danach blutend und am Boden liegend. «Meine Brust tut weh, bringt mich ins Krankenhaus», ruft er. Brutal: Mehreren Berichten zufolge ist der Angeschossene aus Hongkong erst 15!
Die Polizei will neue Proteste in der Sonderverwaltungszone offenbar mit allen Mitteln unterbinden. Fotos und Videos zeigen Feuer und Tränengaseinsätze. Demonstranten prügeln auf Polizeiautos ein – Polizisten auf die Demonstranten.
Knapp drei Flugstunden von der chinesischen Hauptstadt entfernt sind Einkaufszentren geschlossen, der Zugverkehr unterbrochen, Tausende Polizisten positioniert. Partystimmung in Peking, Geisterstimmung in Hongkong. Aus Angst vor Krawall wurde ein grosser Protestmarsch verboten.
Doch davon lassen sich die Demokratie-Aktivisten in der ehemaligen britischen Kronkolonie nicht aufhalten. Sie haben zum «Tag der Trauer» aufgerufen. Alle Bewohner der Sonderverwaltungszone sollen sich in Schwarz kleiden.
Peking feiert, Hongkong trauert
In Hongkong stehen sich zwei Systeme gegenüber, die Staatschef Xi Jinping auch in seiner Ansprache in Peking erwähnt hat. Mit Blick auf die seit fünf Monaten anhaltenden Proteste in Hongkong forderte Xi Jinping «langfristige Stabilität» in der chinesischen Sonderverwaltungsregion.
Mit Blick auf Taiwan betonte Chinas Staatschef den Grundsatz der «friedlichen Wiedervereinigung». Peking betrachtet die demokratische Insel als Teil der Volksrepublik. «Der Kampf für eine vollständige Wiedervereinigung des Vaterlands muss fortgesetzt werden», sagte der Staatsmann.
Die junge Demokratiebewegung in Hongkong fasst seine Worte als das auf, was sie sind: eine Kampfansage. Sie sind fest entschlossen, ihren «Tag der Trauer» abzuhalten. Angesichts der Eskalationslage bleibt zu hoffen, dass sie am Ende nicht Mitstreiter betrauern müssen.