Die Aufnahme von einer privaten Feier kursierte seit Donnerstag in sozialen Medien und löste eine Kontroverse aus. Auf der einen Seite gab es Kritik am Amtsverständnis der Sozialdemokratin und den Hinweis auf mögliche Pflichtverletzungen. Andererseits wurde Marin in Schutz genommen: Auch eine Regierungschefin dürfe mal kräftig feiern. Ein zweites Video, das sie im engen Tanz mit einem Sänger zeigt, sorgte am Wochenende für weiteren Gesprächsstoff.
Die Ministerpräsidentin hatte am Freitag bei einer Pressekonferenz in Helsinki ausführlich zu der Angelegenheit Rede und Antwort gestanden. Spekulationen, sie habe womöglich Drogen genommen, konterte sie mit der Ankündigung, in der kommenden Woche die Ergebnisse eines bereits durchgeführten Drogentests vorzulegen. «Ich habe noch nie in meinem Leben Drogen genommen, nicht einmal als Teenager», sagte sie.
Videos «ein bisschen peinlich»
Doch die Debatte riss auch am Wochenende nicht ab. Im Zentrum stand vor allem, ob Marin durch das Feiern ihre Dienstpflichten verletzt oder die Glaubwürdigkeit der Regierung untergraben hat. Die Chefin der kleinen Oppositionspartei der Christdemokraten, Sari Essayah, teilte mit, es gebe Grund zur Sorge, dass das Verhalten der Ministerpräsidentin möglicherweise eine Bedrohung für die Sicherheit des Landes oder ihrer Person dargestellt habe.
Kritisiert wurde unter anderem, dass Marin in der fraglichen Zeit nicht mehr im Urlaub war und keine Vertretung eingeplant war. Marin gab aber an, jederzeit erreichbar und im Notfall verfügbar gewesen zu sein.
Marins Koalitionspartnerin und Chefin der finnischen Zentrumspartei, Finanzministerin Annika Saarikko, bezeichnete die Videos als «ein bisschen peinlich». Sie seien sicherlich nicht dafür bestimmt gewesen, von allen Finnen gesehen zu werden, sagte sie dem öffentlichen Rundfunksender Yle am Samstag. Sie wolle sich aber nicht als Hüterin der Moral aufspielen. Wichtig sei, dass wichtige Entscheidungsträger stets ansprechbar seien. Die Versicherungen, die Marin diesbezüglich gegeben habe, seien zufriedenstellend, so Saarikko.
Was lief mit dem finnischen Popstar?
Anders sah das der politische Kommentator Suvi Hautanen von der Zeitung «Ilta-Sanomat». Die Premierministerin sei 24/7 im Dienst und müsse sicherstellen, dass sie stets in der Lage sei, tätig zu werden und Entscheidungen zu treffen. Das sei trotz ihrer Beteuerungen infrage gestellt, so Hautanen. Die Regierungschefin hatte eingestanden, dass sie Alkohol getrunken hatte – wie viel, blieb offen.
Noch moralisierender fiel die Kritik an einem zweiten Video aus, das seit Freitag kursierte und Marin in einem Club in Helsinki zeigt. Sie tanzt darauf mit dem finnischen Sänger Olavi Uusivirta (39). Die beiden berühren sich immer wieder an Schultern und Hüfte. Für einen kurzen Moment beugt sich der Musiker nach vorne, als wolle er ihr etwas ins Ohr flüstern. Manche wollten darin einen Kuss auf den Hals erkennen – auch wenn das nicht eindeutig zu sehen ist.
Bei der Pressekonferenz am Freitag wies Marin alle Spekulationen dazu zurück. Sie könne sich nicht erinnern, auf den Hals geküsst worden zu sein, sagte die verheiratete Politikerin. Sie glaube, Uusivirta habe ihr etwas sagen wollen. Auch Uusivirta äusserte sich noch am Freitag per Instagram. «Ich kann nur sagen, wie es ist: Wir sind Freunde und es ist nichts Unangebrachtes zwischen uns geschehen», schrieb er.
Auch anderswo wird getanzt
Rückendeckung für Marin gab es unter anderem aus Deutschland: So veröffentlichte die deutsche Grünen-Politikerin Hannah Neumann ein Video von einem mehrere Jahre zurückliegenden Grünen-Bundesparteitag, bei dem eifrig getanzt wurde. Auf einer Galerie standen damals vier Frauen, die gemeinsam im Takt wippten und die Arme schwingen liessen. «Brave Mädchen kommen in den Himmel, rockende überall hin», schreibt die Europaabgeordnete dazu. Und erklärt «für alle, die es nicht erkennen», dass mit ihr 2018 auf der Galerie Annalena Baerbock (heute Aussenministerin), Franziska Brantner (inzwischen parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium) und Luise Amtsberg (heute Menschenrechtsbeauftragte) tanzten.
Viele Nutzer sozialer Medien monierten eine Doppelmoral gegenüber der jungen finnischen Politikerin und posteten Videos von männlichen Politikern, die sich ebenfalls beim Tanzen hatten filmen lassen – wenn auch weit weniger elegant als Marin. Aufsehen, Schmunzeln und bei einigen Betrachtern womöglich auch Fremdscham-Gefühle lösten beispielsweise Aufnahmen von einer Wahlparty nach der zurückliegenden Landtagswahl in Schleswig-Holstein aus. Sie zeigten den Wahlsieger Daniel Günther (CDU) und andere Politiker beim bemüht locker wirkenden «Hubschrauber»-Tanz zu einem entsprechenden Party-Song. (SDA)