1100 tote Menschen, 700’000 tote Nutztiere, 200’000 zerstörte und 450’000 beschädigte Häuser, 20’000 Quadratkilometer unbrauchbare Landwirtschaftsflächen, 145 weggespülte Brücken: Die Zerstörung durch Überschwemmungen in Pakistan ist riesig, das Leiden enorm. 33 Millionen Menschen der 220 Millionen Einwohner sind betroffen.
Der sintflutartige Monsunregen hat seit Juni in allen vier Provinzen für Verwüstung gesorgt. Die Niederschläge sind fünfmal so heftig wie der Durchschnitt der vergangenen 30 Jahre. Laut Klimaministerin Sherry Rehman (61) steht ein Drittel des Landes unter Wasser. «Das ist nicht mehr der normale Monsun – das ist eine Klima-Dystopie vor unserer Haustür», sagte die Ministerin. «Dystopie» ist eine Erzählung, die ein negatives Zerrbild der zukünftigen Menschheit zeigt.
Baumwollfelder unter Wasser
Zahlreiche Hilfswerke haben die Arbeit aufgenommen, darunter Helvetas und Unicef. «Vor allem im Süden ist die Lage jetzt katastrophal», sagt Jawad Ali (63), stellvertretender Landesdirektor von Helvetas. «Im Norden hat sich die Situation etwas entspannt, die südliche Provinz Sindh und Teile von Belutschistan aber sind ein einziger grosser See.»
Menschen, die ihr Haus verloren haben, suchten Zuflucht bei Bekannten – oder lebten im Freien. Viele würden aber auch in Notunterkünften einquartiert. Ali: «Wir liefern Essen, Medikamente und Wasseraufbereitungsanlagen.»
Die fehlende Grundversorgung sei das Eine, das Andere sei die Zeit danach, sagt Ali. «Viele Baumwollfelder und andere landwirtschaftliche Flächen sind zerstört. Viele Pakistani werden keine Arbeit mehr haben, weil es Monate dauern wird, bis sich das Wasser zurückgezogen hat.» Zudem steht der Winter vor der Tür.
Provisorische Schulen
Ungefähr ein Drittel der Toten sind Kinder, schätzt Unicef. «Tausende Familien sind obdachlos und sind mit ihren kleinen Kindern unter freiem Himmel dem nicht endenden Regen ausgesetzt», heisst es bei der Kinderhilfsorganisation.
Unicef kümmert sich nicht nur um Grundhilfe, sondern richtet auch provisorische Schulen ein und steht den Kindern mit psychologischer Hilfe bei. In der Provinz Belutschistan sind mehr als zwei Drittel der Spitäler sowie 40 bis 70 Prozent der Schulen schwer beschädigt.
Die Behörden rechnen mit vielen weiteren Toten, da Hunderte Bergdörfer im Norden des Landes von der Aussenwelt abgeschnitten sind. Selbst Helikopter der Armee haben Probleme, im unwegsamen Gelände zu landen.
Zufall und Klimawandel
Naturkatastrophen wie Fluten, Dürren, Erdrutsche haben in Pakistan in den vergangenen Jahren zugenommen, die Luftqualität ist gesunken. Klimaexperten schreiben das Phänomen dem Klimawandel zu, aber auch der Nähe zu stark industrialisierten Ländern wie China und Indien.
Bereits im Frühjahr war das Land von einer ungewöhnlich frühen Hitzewelle betroffen. Es kam zu Temperaturen von über 40 Grad in der Region.
Sonia I. Seneviratne (48), ETH-Klimaforscherin erklärt: «Es gibt natürlich eine Zufallskomponente, die mit Wettervariabilität zu tun hat, aber Starkniederschläge nehmen allgemein zu.» So seien vor allem Westeuropa – also auch die Schweiz – Nordeuropa, Zentralnordamerika, die Ostküste Amerikas, Südostasien und Nordasien betroffen.
Und ETH-Klimaforscher Reto Knutti (49) sagt zur Lage in Pakistan: «Die Auswirkungen werden massiv verstärkt durch falsche oder fehlende Vorbereitung und Infrastruktur, wie zum Beispiel Hochwasserschutz, und andererseits mangelnde Finanzen und Kapazitäten, um Krisen zu bewältigen.»
Nach Angaben der deutschen Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch belegt Pakistan Platz acht der Länder, die durch Extremwetterereignisse am meisten bedroht sind.
Die Schweiz hilft
Die Vereinten Nationen stellten am Dienstag in Genf zusammen mit der Regierung Pakistans einen ersten Hilfsplan für sechs Monate vor. Dafür sind 116 Millionen Dollar (rund 114 Millionen Franken) nötig. Die Uno rief ihre Mitgliedsländer zum Spenden auf.
Auch die Schweiz beteiligt sich an der Hilfe. Sie überweist fünf Millionen Franken an den Nothilfefonds der Vereinten Nationen und drei Millionen an den Fonds der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften. Zudem werden vier Expertinnen und Experten des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe nach Pakistan reisen.