Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock (39) hat es getan. Ihr Parteikollege Cem Özdemir (54) auch. Nämlich die Namen derjenigen zu veröffentlichen, die am Mittwochabend in Hanau erschossen wurden.
Wie etwa die zweifache Mutter Mercedes Kierpacz (35), die offenbar mit ihrem dritten Kind schwanger war. Am Tatabend soll sie in der Arena Bar gearbeitet haben – einem Kiosk mit angeschlossener Shisha-Bar.
Normalerweise werden Opfernamen nicht genannt
Oder der fürsorgliche 22-jährige Ferhat Ünver, der gerade erst seine Lehre zum Heizungs- und Gasinstallateur abgeschlossen hatte und seine eigene Firma gründen wollte. «Ferhat wollte in der Gegend arbeiten und dafür sorgen, dass es uns allen zu Hause gut geht und warm ist», sagte sein Cousin dem Hessischen Rundfunk.
Da ist Sedat Gürbüz (30), der Besitzer der Shisha-Bar Midnight am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt, wo Tobias R.* (†43) am Mittwoch um 22.00 Uhr das Feuer eröffnete. Oder der 37-jährige gelernte Maurer Gökhan Gültekin, Spitzname «Gogo», der von Hanauern als «bunter Hund» beschrieben wird und der bald heiraten wollte.
Aus Rücksicht auf die Privatsphäre werden die Opfer von Straftaten normalerweise nicht genannt. Doch der rassistisch motivierte Anschlag von Hanau hat eine Debatte darüber befeuert, die Ermordeten in den Vordergrund zu stellen – und nicht den Täter, der ihnen in seinem Bekennerschreiben das Menschsein wegen ihrer Herkunft absprach. Sie alle hatten einen Migrationshintergrund und Wurzeln in der Türkei, in Bosnien, Rumänien oder Polen.
Auf Twitter trendet der Hashtag #Saytheirnames
Das jüngste Opfer ist Hamza Kurtovic (20), der nach einer Ausbildung gerade ins Berufsleben eingestiegen war. Sein Leben ist ausgelöscht wie das des 33-jährigen Kaloyan Velkov, der seit zwei Jahren in Deutschland lebte, und der 23-jährige Vili Viorel Paun, der für eine Kurierfirma tätig war.
Oder das des fast gleich alten Said Nessar El Hashemi, ein Deutschrap- und Fussballfan. Und zuletzt wäre noch Fatih Saracoglu (34) zu nennen, der aus dem bayerischen Regensburg ins Rhein-Main-Gebiet gezogen war, um sich selbständig zu machen. Der Integrationsbeirat von Regensburg sagt, er kenne seine Familie gut: «Sein Bruder ist hier Busfahrer, das sind ganz freundliche, zurückhaltende Menschen. Fatih hatte hier noch viele Freunde.»
Auch bei den Mahnwachen wurden die Namen im Beisein von Angehörigen und Freunden vorgelesen. Auf Twitter trendet der Hashtag #Saytheirnames (Sag ihren Namen), in der Berliner Synagoge Oranienburger Strasse wurden die Namen der mehrheitlich kurdischstämmigen Opfer verlesen. Die Absicht: die individuellen Geschichten und Schicksale von Menschen aus Einwandererfamilien in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Die Mutter des Täters fehlt auf vielen Opferlisten
Die Debatte treibt aber auch seltsame Blüten. Die ZDF-Moderatorin Maja Weber (43) will «den Namen jeder einzelnen erschossenen Person erfahren». Wo sie gearbeitet hätten, ob sie Familie hatten. «WER SIND DIE OPFER?!», fragt sie in Grossbuchstaben auf Twitter. Nur eine der Ermordeten zählt sie nicht darunter: die 72-jährige Mutter des Sportschützen Tobias R., die an Demenz gelitten haben soll. Er erschoss sie offenbar, bevor er sich selbst richtete. Weber findet: «Es sind neun Opfer. Der Täter und eine weitere Person sind tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Aber 9 ist die Zahl der Opfer. NEUN. Nicht elf. Lasst uns dem Täter nicht mehr Raum geben, als er sich im Umfeld der 9 genommenen Leben bereits verschafft hat. BITTE!!!!!!!»
Auf vielen der öffentlichen Opferlisten fehlt die Mutter von Tobias R. Sie wurde kein Opfer von Rassismus. Aber auch sie ist ein Opfer – von Frauenhass, von krankhaftem Wahn. Trennen lässt sich das nicht. «Wir wissen schon aus der Forschung, dass diese Verschwörungstheorien und bestimmte menschenfeindliche Orientierungen gegenüber Frauen und Fremden ein Syndrom ergeben», sagt der Gewaltexperte Dirk Baier zu SonntagsBlick.
Ferhat Ünver. Gökhan Gültekin. Hamza Kurtovic. Said Nessar El Hashemi. Mercedes Kierpacz. Sedat Gürbüz. Kaloyan Velkov. Fatih Saracoglu. Vili Viorel Paun. Und die Mutter von Tobias R., die übrigens Gabriele hiess.
* Name bekannt