Monteviasco ist nur noch über diesen Trampelpfad erreichbar
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Belastung für Bewohner:Dorf ist nur noch über diesen Trampelpfad erreichbar

Das italienische Dorf Monteviasco will zum Tessin gehören
«In der Schweiz hätten wir längst unsere Seilbahn wieder»

Seit vier Jahren ist Monteviasco nur über einen jahrhundertealten Eselpfad zu erreichen. Grund: Die Seilbahn wird seit einem Unfall einfach nicht wieder in Betrieb genommen.
Publiziert: 21.11.2022 um 00:46 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 07:23 Uhr
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Seit vier Jahren ist Monteviasco nur über einen alten Eselpfad zu erreichen.
Foto: © Ti-Press / Ti-Press
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Die gepflasterten Gassen sind bis in die Ecken ausgefegt, wie mit Schweizer Gründlichkeit. Der Kirchturm aus dem 19. Jahrhundert ragt aus dem Häusergewirr wie der Hirte aus der Schafherde. Und an den geputzten Fenstern glitzern die ersten weihnachtlichen Bändchen. Lucia Cassina Piana (78) ist beschäftigt. «Ich muss die Krippen vorbereiten», sagt die Witwe. Sie stellt Zweige und Figürchen in kleine Mauernischen. Viel Zeit für ein Schwätzchen habe sie daher nicht, sagt sie.

Die Seniorin ist eine von sieben Bürgern, die noch in Monteviasco (I) ausharren. Nur wenige Menschen werden ihren mit so viel Liebe gebastelten Adventsschmuck bewundern. Denn der Ortsteil der lombardischen Gemeinde Curiglia scheint wie aus der Welt gekippt. Am 12. November 2022 war es exakt vier Jahre her, dass der damalige Führer der Seilbahn bei Wartungsarbeiten ums Leben gekommen war. Seitdem steht der Betrieb still. Wer fortan nach Monteviasco will, muss die 1442 Stufen meistern, die einst recht wild in den steilen Waldboden gestemmt wurden. Der mühsame Eselpfad ist bis heute der einzige Weg zum Weiler.

«Es kommt kaum noch jemand herauf. Keine Handwerker, wenige Touristen», sagt Lucia, «ich selber gehe nur noch vier bis fünfmal im Jahr ins Tal.» Gott sei Dank seien da die Engel aus dem benachbarten Dumenza (I). Die Carabinieri tragen samstags das Nötigste hinauf, wie die Sherpas in Nepal. «Wären wir eine Schweizer Gemeinde, hätten wir längst wieder unsere Seilbahn», betont Lucia. Und auch davon ist sie überzeugt: «Die Schweizer würden uns gerne nehmen.»

Bürgergruppe will Beitritt zur Schweiz

Vor zwei Wochen liess eine Bürgergruppe aus Monteviasco einen offenen Brief in der Lokalzeitung «La Prealpina» veröffentlichen. Sie forderte darin den Anschluss an die Schweiz, damit endlich etwas geschehe (Blick berichtete). «Das war eine Provokation», erklärt Lucia, «denn natürlich können wir nicht einfach Schweizer werden». Obwohl, so die rüstige Rentnerin: «Monteviasco gehörte früher zur Schweiz.» Tatsächlich war es Kaiserin Maria Theresia von Österreich, die im 18. Jahrhundert die Tessiner Grenze neu zog und Monteviasco der Lombardei zusprach. Das Dorf liegt am Südhang des Schweizer Berges Gradiccioli. Er ist nur zwei Kilometer von der Grenze entfernt. Indemini in Gambarogno TI ist ebenso in Sichtweite wie der Monte Lema, und über dem Kamm beginnt der Südtessiner Malcantone.

Barbara Ragazzi (50) und Ehemann Roberto Tosi (52) machen die Dorfbeiz winterfest. Eisern kommt das Ehepaar jedes Wochenende den Berg rauf, bietet Vino und Espresso, auf Bestellung auch warme Mahlzeiten. «Wir haben den Vecchio Circolo 2018 übernommen, sieben Monate vor dem Seilbahnunglück. Das war Pech», sagt die Veltlinerin. Dennoch halten sie durch wegen der Gäste, die Monteviasco treu blieben. «Ich bin stolze Italienerin», sagt Barbara, «doch in der Schweiz funktioniert die Bürokratie um einiges effektiver.» Was die Wirtin wurmt: «Wir sind der Ortsteil einer italienischen Gemeinde. Die Seilbahn ist ein öffentliches Transportmittel. Es sollte fahren wie ein Linienbus.»

Präfektur Varese sucht nun nach neuer Betriebsführung

Früher hätten über 40 Menschen in Monteviasco gelebt, erinnert sich Giovanni Prestini (69). Der pensionierte Chirurg bewohnt seit den 80er-Jahren ein Berghaus im Ort. «Hier gab es zeitweise drei Restaurants», sagt der Mailänder. «Dann zogen immer mehr Menschen weg von Monteviasco. Der Stopp der Seilbahn gab dem Dorf den Rest.» Jetzt würden nur noch ein paar Pensionäre dort wohnen und ein Ziegenbauer. Ein Jammer, denn, so Giovanni Prestini: «Monteviasco und die Umgebung sind wunderschön.»

Der offene Brief mit dem Wunsch, von der Schweiz annektiert zu werden, hat offenbar gewirkt. Die Präfektur Varese jedenfalls kündigte nun an, bis zum 31. Dezember eine Geschäftsführung für sieben Seilbahnanlagen auszuschreiben, darunter ist auch die Strecke nach Monteviasco. Nora Sahmane (40), Gemeindepräsidentin von Curiglia, ist optimistisch: «Eine Betriebsführung für sieben Seilbahnen wird das Überleben der kleinen Anlagen garantieren.» Auch jener von Monteviasco.


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