Nach dem Terroranschlag von Istanbul mit mindestens 44 Toten und mehr als 160 Verletzten kündigten Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan (62) und Ministerpräsident Binali Yildirim (61) wie immer «Rache und Vergeltung» an. Zum Anschlag hatten sich am Sonntag die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) bekannt, eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Am Montag rückten Polizisten landesweit zu Razzien aus und verhafteten mehr als 230 Politiker der prokurdischen linken HDP, der zweitgrössten Oppositionspartei.
Der Vorwurf: Propaganda und/oder Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Mittlerweile fragen sich nicht nur neutrale Beobachter: Warum verüben kurdische Terroristen schwere Anschläge in der Türkei, wenn sie wissen, dass der Staat darauf mit voller Härte reagiert. Und das kurdische Volk wieder voll ins Visier von Erdogan gerät?
Mehr als 30 Jahre Guerillakrieg
Der Konflikt ist mehr als 30 Jahre alt. Schon 1984 begann die PKK ihren Guerillakrieg für eine kurdische Autonomie gegen den türkischen Staat – weit mehr als 40’000 Opfer sind seitdem zu beklagen.
Die endlose Spirale der Gewalt hat viele Gründe. Einige finden sich auch in der TAK-Erklärung zum Istanbuler Anschlag: zerstörte Städte im Kurdengebiet, tausende Tote, dazu die willkürliche Absetzung gewählter kurdischer Bürgermeister. Hinzu kommt die Psychologie der Militanz: Da die Führung sie darin bestärkt, leben die meist jungen Terroristen in einer eigenen Realitätsblase. Sie fühlen sich stets im Recht und opfern sich «für die Sache» im Wissen, dass sie nach dem Tod als Märtyrer gefeiert werden.
Zynisches Kalkül der Anführer
Auf diese Opferbereitschaft setzt das zynische Kalkül ihrer Anführer. Diese wissen, dass ihnen die harte Reaktion des Staates viele neue Rekruten zutreibt. Ihre Legitimation beziehen sie aus dem nie endenden Kreislauf von Anschlag und Vergeltung.
Erdogan schürte die Hoffnung auf einen Friedensprozess seit 2013. Dabei setzte er stark auf den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan (68). Nur: Mitten in die Annäherung wuchs mit der HDP eine zivile Kraft heran, die Kompromisse wollte und eine ganz neue Friedensperspektive anbot.
Das gefährdete die Position Öcalans, die der militärischen PKK-Führung und ebenso die Erdogans. Man kehrte wieder zur gewohnten Konfrontation zurück: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ein Ende des Teufelskreises ist nicht in Sicht.