Ein Irrer sei Bashar al-Assad (50) nicht, sondern ein Lückenbüsser. «Er weiss: Er war nur zweite Wahl, daran hat er zu nagen, was ihn handlungsunfähig macht», sagt US-Psychiater Jerrold Post. Er hat die Psyche des syrischen Präsidenten analysiert. Eines Diktators, der das eigene Volk mit Fassbomben zerfetzt.
Seit 2011 führt er Krieg. Über 220'000 Syrer starben, fast zwölf Millionen sind auf der Flucht. «Die Hauptschuld liegt bei Assad», sagt der Direktor von Human Rights Watch, Kenneth Roth (60).
Doch wer ist Assad? «Er war ein Muttersöhnchen», sagt Post, der für den CIA jahrelang Despoten analysierte. «Einer, der sich lange im Hintergrund hielt und plötzlich ins Rampenlicht gerissen wurde.»
Sein Vater Hafez al-Assad (†70) regierte Syrien von 1971 bis zu seinem Tod im Jahr 2000. Nachfolger sollte sein ältester Sohn Basil werden – einer, dem fast alles gelang, ein Haudegen. Bashar hingegen war sanft und scheu. Er studierte Medizin, liess sich in London zum Augenarzt ausbilden, galt als westlich, heiratete eine Frau, die in England zur Welt gekommen war. 1994 fuhr Basil einen Mercedes gegen einen Pfosten und starb. Bashar füllte die Lücke. Seither sehe er sich «als Notnagel», erklärt Post. Nur weil der Bruder starb, erhielt er die Macht in Syrien.
Widerwillig liess sich Doktor Bashar zum Staatsmann drillen. «Es widerstrebte ihm, in die Fussstapfen des Vaters zu treten», sagt Post. Als er im Sommer 2000 in den Präsidentenpalast zog, fühlte er sich unvorbereitet. «Vom ersten Tag an war er ein unsicherer Mann.»
Er habe einen Vaterkomplex, so Post. Er studierte Medizin, weil Hafez dies versagt geblieben war. Kaum hatte er die Arbeit im Spital schätzen gelernt, musste er sie für die Politik verlassen, um dem Vater zu gefallen. «Das schuf einen labilen, ängstlichen Mann, der seine Bedürfnisse nie befriedigen konnte. Das ist eine äusserst schlechte Voraussetzung, um Verantwortung zu übernehmen und Entscheide zu fällen», sagt Post. «Als er an die Macht kam, war er gelähmt.»
Doch wie kann Bashar zuschauen, wie sein Volk ausblutet? «Er verdrängt es», glaubt Post. «Bashar verwendet viel Zeit und Energie, um die Realität aus seiner Gedankenwelt zu drängen. Er schaut ‹Harry Potter›-Filme, hört westliche Musik, blickt weg.» Warum? «Gesteht er sich ein, dass sein Land im Chaos versinkt, Zivilisten getötet werden, muss er sein eigenes Versagen eingestehen.»
Grausamkeiten überlässt er dem kleinen Bruder Maher al-Assad (47). Der Kommandant hetzt die Republikanische Garde auf Frauen und Kinder.
Vieles davon wolle Bashar erst gar nicht wissen. Ein Wesenszug der Lückenbüsser sei das Schönreden. Getreue berichteten ihm nie genau, was um ihn herum passiert, sagt Post. Längst sei Bashar blockiert. Geht er ins Exil, verliert die Familie das Land. «Bashar will kein kompletter Versager sein.» Noch schlimmer für ihn: «Syrien zu verlassen, wäre die grösste Schmach, die er dem Vater antun könnte.»