Österreichs Innenpolitik steht wegen eines mutmasslichen Korruptions-Skandals auf dem Kopf. Mitten drin: der deutsche Satiriker Jan Böhmermann (38): Er wusste zu früh zu viel, um nichts mit der «bsoffnen Gschicht» zu tun zu haben, die über Nacht Österreich in eine veritable Regierungskrise stürzte.
Was weiss er? Viele vermuteten, dass Böhmermann am Mittwochabend weitere Fakten dazu liefern wird. Der Grund: Seine Firma schaltete die Webseite «dotheyknowitseurope.eu» auf. Darauf zu sehen: Ein Countdown, der bis Mittwochabend um 20.15 Uhr hinunter zählte.
Doch Böhmermann narrte alle. Statt einer Ibiza-Bombe veröffentlichte Jan Böhmermann ein Lied. Und nicht irgendeins: Der 13-Minuten-Song «Do they know it's Europe?» ist eine Liebeserklärung an Europa. In ESC-Optik singen der deutsche Satiriker Böhmermann und seine Kollegen aus insgesamt 16 Ländern gemeinsam eine regelrechte Hymne auf den Kontinent. Die Botschaft steckt im Refrain: «Allein sind wir allein.» Sie kommt nur einen Tag vor dem Start der Europawahl und einem erwarteten Rechtsruck im EU-Parlament genau zur richtigen Zeit.
Dominic Deville vertritt die Schweiz
Von Italien bis Armenien, von den Niederlanden bis nach Ungarn: Sie alle haben ihren grossen Auftritt in Böhmermanns Ode an Europa. Auch die Schweiz ist prominent vertreten! SRF Late-Night-Moderator Dominic Deville singt ab Minute 11:11: «Von den Franzosen das Welschland, Geld und Gold gab uns Deutschland, aus Schweden zog IKEA hierher. Aus Holland klauen wir Ärzte, aus England die Scherze. Wir nehmen alles und wir danken euch sehr.» Dann setzt er inbrünstig an: «Die Schweiz ist genial, Europa ist uns egal. Allein und gemein – so wollen wir Schweizer sein.»
Im Interview mit dem «Tagesanzeiger» erklärt Deville, dass das Böhmermann-Projekt «verdammt spiessig» wäre, «wenn nicht wir Schweizer mit dabei wären, die eigentlich nicht dazugehören – wie die Briten, die inzwischen ja auch ein interessantes Verhältnis zur EU haben und mit denen wir gegengeschnitten werden».
Comedians aus ganz Europa haben mitgemacht
Grossbritannien hat einen traurigen Auftritt in Böhmermanns Video. «Seid ihr noch da?», ruft der deutsche Satiriker seinem britischen Kollegen zu. Der singt deprimiert: «Einst haben wir ein grosses Reich aufgebaut – jetzt bauen wir gute Handtrockner.» Und fügt mit Blick auf den nahenden Brexit hinzu: «Ich bin mir sicher, wir werden alleine klarkommen.» Dann übergibt er an Deville. Neben der Schweiz durften mit Norwegen und Armenien auch zwei weitere Nicht-EU-Mitglieder mitmachen.
Auf der ZDF-Webseite heisst es zum Video: «Die grosse Kampagne des NEO MAGAZIN ROYALE mit Jan Böhmermann und Freunden für Europa ... ein Song über Landesgrenzen hinaus ... das fühlt sich gut an!»
Der Titel «Do they know it's Europe?» klingt nicht umsonst verdächtig ähnlich wie das Lied «Do they know it's Christmas?» aus dem Jahr 1984, in dem die Musikgruppe Band Aid auf die Hungersnot erinnern wollte: Comedians aus allen europäischen Ländern haben bei Böhmermanns Video mitgemacht. Einen Hinweis darauf gab es schon vorab: Die Böhmermann-Webseite mit dem Countdown war auch mit der Adresse «comediansforworldpeace.eu» erreichbar.
Warum hatten alle eine Ibiza-Bombe erwartet?
Böhmermanns Zuschauer reagierten zwiegespalten. Viele hatten hinter dem Countdown eine «echte Ibiza-Bombe» erwartet. Versteckte Hinweise gab es im Quellencode der Homepage: Darin fand man Begriffe wie «Ibiza», ein Link führte zum Musikvideo «We're Going to Ibiza» von den Vengaboys – ein uraltes Lied aus dem Jahr 1999, das dank dem Skandal-Video aus der Ibiza-Villa wieder schlagartig populär wurde.
ZDF schliesst Beteiligung aus
Anfangs sah es so aus, als ob Jan Böhmermann hinter dem Ibiza-Skandalvideo stecken könnte. Er hatte bereits vor Veröffentlichung Andeutungen gemacht, die darauf hindeuteten, dass er den Inhalt bereits vor Wochen kanne. Der Fernsehsender ZDF sagte jedoch bereits Anfang Woche, dass man eine Beteiligung Böhmermanns an der Ösi-Krise ausschliessen könne. (pma/kin)