Noch vor zehn Jahren lehnte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) gegen das chinesische Regime auf. So prangerte er etwa die Menschenrechtsverletzungen Pekings gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren massiv an und sagte: «Die Vorfälle in China sind, einfach gesagt, Völkermord.» Der Muslime Erdogan gewährte verfolgten Uiguren sogar Asyl.
Dann kam für die Uiguren der grosse Schock: 2016 verhaftete die Türkei den prominenten Aktivisten Abdulkadir Yapcan (62), der seit 2001 im Land lebt. 2017 unterzeichneten China und die Türkei ein Auslieferungsabkommen, das auch gilt, wenn eine Tat nur in einem der beiden Staaten illegal ist.
Seither hat die Türkei Hunderte von Uiguren verhaftet und in Deportationszentren geschickt. Auch Yapcan sollte ausgeliefert werden, was ein Gericht allerdings 2019 verhinderte.
Tief in der Krise
Was hat zu dieser Wende am Bosporus geführt? Weil die Türkei immer tiefer in die Wirtschaftskrise schlittert und die Lira ein historisches Tief erreicht hat, ist Erdogan auf Hilfe von aussen angewiesen. Auch deshalb, weil das Coronavirus mit bisher gegen 8000 Toten und über 300’000 Infizierten hart zugeschlagen hat und Erdogan trotz allem seine aggressive Expansionspolitik im Mittelmeer vorantreiben will.
Die Türkei hat sich daher nicht nur bei rechtlichen Fragen mit China eingelassen, sondern auch wirtschaftlich den Schulterschluss gesucht. In den vergangenen vier Jahren haben die beiden Staaten zehn bilaterale Abkommen unterzeichnet, darunter Beschlüsse für den Gesundheits- und den Energiesektor, schreibt das amerikanische Polit-Magazin «Foreign Policy». Auch militärisch wird eine Zusammenarbeit angestrebt.
Wer praktisch nur Feinde hat, sucht sich eben einen Partner, der ebenfalls keine Freunde hat.
Huawei-Markt verzehnfacht
Bereits sprudelt das Geld aus Peking: Bisher haben die Chinesen in der Türkei drei Milliarden Dollar investiert, bis in einem Jahr soll es das Doppelte sein. Heute gehören Teile des Containerhandels Chinesen, aber auch 51 Prozent der gebührenpflichtigen, 2164 Meter langen Yavuz-Sultan-Selim-Brücke, die Europa und Asien über den Bosporus verbindet, sind seit diesem Jahr in chinesischen Händen.
Der Mobilfunkanbieter Huawei, der in anderen Ländern wegen Verdachts auf Spionage als Sicherheitsbedrohung eingestuft wird, hat seinen Anteil am türkischen Markt innert zwei Jahren von drei auf 30 Prozent verzehnfachen können. Weitere Investitionen, etwa in Kraftwerke, sowie Kredite sollen folgen.
Nicht zu vergessen ist die Belt-and-Road-Initiative, mit der China die Handels- und Infrastrukturnetze in über 60 Länder, darunter auch die Türkei, für rund 1,1 Billionen Dollar ausbauen will. Rund 1000 chinesische Unternehmen operieren heute in der Türkei. China ist hinter Russland innert Kürze zum zweitwichtigsten Importpartner aufgestiegen.
Westliche Vorherrschaft zerstören
Das Nato-Mitglied Türkei ist für China nicht nur wegen des grossen Markts für Energie, Infrastruktur, Telekommunikation und Verteidigungstechnologie interessant. Das Land am Bosporus ist als Schnittstelle zwischen Europa, Asien und Afrika auch strategisch hervorragend gelegen.
Für «Foreign Policy» ist daher klar, welche Ziele Peking verfolgt: China will die Türkei zu einem Satellitenstaat ausbauen, um die heute herrschende westliche Vorherrschaft zu Fall zu bringen.