Peking macht ernst: Ein Mann ist wegen des Tragens einer Pro-Unabhängigkeitsflagge für Hongkong die erste Person, die nach Inkrafttreten des neuen «Sicherheitsgesetzes» am Mittwoch in Hongkong verhaftet wurde. Das teilte die zuständige Polizeibehörde auf Twitter mit.
Die Polizei warnte mit grossen lila Bannern, dass Demonstranten für ihre Flaggen, Transparente, Slogans oder anderes Verhalten verhaftet werden könnten. Eine mögliche Verhaftung «unter dem Vorwurf der 'Abspaltung' oder 'Unterwanderung der Staatsmacht' nach dem nationalen Sicherheitsgesetz» sei «erstmalig in Hongkongs Geschichte», kritisierte Protestführer Joshua Wong auf Twitter.
Demokratiebewegung ruft trotz Verbot zur Protest auf
Das umstrittene «Sicherheitsgesetz» trat am Mittwoch in Kraft und überschattet den Jahrestag der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie Hongkong 1997 an China: Ein Land, zwei Systeme — das war einmal.
Die Polizei hatte im Vorfeld alle Anträge auf Demonstrationen abgelehnt, die sonst am Tag der Rückgabe üblich sind. Zur Begründung war auf die Coronavirus-Pandemie und die «anhaltende soziale Unruhe» in der Hafenmetropole verwiesen worden. In den Vorjahren war es häufig zu Massendemonstrationen gekommen, die sich gegen den wachsenden Einfluss Pekings gerichtet hatten.
Trotz des Verbots riefen Protestgruppen dazu auf, am heutigen Mittwoch auf die Strasse zu gehen. Wie viele Hongkonger dieser Aufforderung folgen werden, blieb vor dem Hintergrund des neuen Sicherheitsgesetzes zunächst jedoch unklar, da bei Verstössen schwere Strafen drohen.
Protestführer Wong löste Demokratiebewegung auf
Chinas Präsident Xi Jinping (67) hatte das umstrittene «Sicherheitsgesetz» für Hongkong am Dienstag unterzeichnet. Das Dekret verbietet ausländische Einmischung, Terrorismus und «aufrührerische Aktivitäten» gegen die chinesische Führung.
Joshua Wong (23), Gesicht des Protests in Hongkong, zog umgehend Konsequenzen: Er trat als Generalsekretär der von ihm gegründeten Pro-Demokratie-Partei «Demosisto» zurück – anschliessend löste sich die Partei auf. «Nach vielen internen Überlegungen haben wir beschlossen, alle Operationen als Gruppe unter den gegebenen Umständen einzustellen», teilte Demosisto am Dienstag mit. Bisherige Demosisto-Mitglieder würden weiterhin nach Wegen suchen, die «totalitäre Unterdrückung» zu durchbrechen.
«Ich will meine Überzeugungen als Einzelperson vertreten. Hongkongs Wille wird weder durch das Nationale Sicherheitsgesetz noch durch irgendein anderes schlechtes Gesetz untergraben», schrieb Protestführer Wong am Dienstag kämpferisch auf Twitter.
Protestführer Wong fordert Sanktionen
Im Interview mit BLICK hatte Wong im Mai bereits erklärt: «Wir werden nie kapitulieren.» Das Sicherheitsgesetz macht seinen Protest jedoch auch persönlich risikoreicher: Acht Mal wurde Wong im Rahmen der Proteste bereits festgenommen, drei Mal war er wegen seines Engagements im Gefängnis. «Vielleicht muss ich das nächste Mal in Peking hinter Gitter. Das wäre der Worst Case.»
Im Interview mit BLICK forderte Wong auch internationale Unterstützung – etwa durch Sanktionen. Eine entsprechende Reaktion kam aus den USA: US-Präsident Donald Trump (74) kündigte an, die Sonderbehandlung für die Sonderverwaltungszone streichen, weil diese mit dem Gesetz nicht mehr ausreichend autonom ist. Die Extrawurst gilt bislang unter anderem für Exportkontrollen, Zölle und Reisehinweise. Nach Unterzeichnung des Gesetzes stoppten die USA den Export von Rüstungsgütern in die eigentlich autonome Metropole. Zudem will London Optionen prüfen, um Bürgern der Ex-Kolonie einen Weg zur britischen Staatsbürgerschaft zu eröffnen. Den Ankündigungen müssen jedoch noch Taten folgen.
China muss mit «sehr negativen Konsequenzen» rechnen
Die EU hält sich mit Sanktionen bislang zurück. Führende Politiker wiederholten nach Unterzeichnung des Gesetzes lediglich ihre bereits zuvor geäusserte Kritik am Dekret. «Diese neue Gesetzgebung steht weder mit dem Grundgesetz Hongkongs noch mit Chinas internationalen Verpflichtungen im Einklang», sagte etwa EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (61) am Dienstag in Brüssel. China müsse mit «sehr negativen Konsequenzen» rechnen. So dürften beispielsweise das Vertrauen von Unternehmen und Chinas Reputation sinken.
Das Sicherheitsgesetz untergrabe die Autonomie Hongkongs und werde sich nachteilig auf die Unabhängigkeit der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit auswirken. «Die bestehenden Rechte und Freiheiten der Bürger Hongkongs müssen geschützt werden», sagte von der Leyen.
Ähnlich äusserten sich auch EU-Ratspräsident Charles Michel (44) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (61). Stoltenberg sagte: «Es ist offensichtlich, dass China nicht unsere Werte teilt.» Das gelte für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Das neue Sicherheitsgesetz untergrabe die Autonomie und Freiheit der Bürger.