Alarmiert waren die Wissenschaftler schon im vergangenen Jahr, als in einer abgelegenen Bucht in Patagonien ganz im Süden des Landes mehr als 330 tote Wale gefunden wurden - die wohl höchste je entdeckte Zahl.
Der traurige Fund blieb kein Einzelfall: Zu Beginn des Jahres erstickten rund 40'000 Tonnen Lachs im Los Lagos-Gebiet im Süden an Giftalgen. Damit starben etwa zwölf Prozent der jährlichen Lachsproduktion in Chile, dem zweitgrössten Lachsproduzenten nach Norwegen.
Vier Monate später wurden rund 8000 Tonnen toter Sardinen an der Mündung des Queule-Flusses in der Region La Araucanía im Süden angespült.
Und vergangene Woche waren die Strände der süchilenischen Insel Chiloé übersät von zehntausenden Machas, einer für Chile typischen Muschelart. Auch für das Muschelsterben machten die Behörden die massenhafte Vermehrung von Algen verantwortlich. Sie untersagten die Fischerei in der betroffenen Region; tausende Fischer hatten plötzlich keine Arbeit mehr.
«Wir haben die Algenblüte im Süden Chiles jedes Jahr, doch diesmal reichte sie weiter nach Norden», erklärt Jorge Navarro, Forscher am Meeresinstitut Ideal. Daher habe sie sich auf Muschelpopulationen ausgewirkt, die den Algen nie zuvor so ausgesetzt waren.
Während des Sommers auf der Südhalbkugel wurden an der Insel Santa María von Dezember bis Februar tausende tote Tintenfische angespült. Verschiedene Strände im Zentrum des Landes mussten zudem gesperrt werden, weil in Strandnähe Portugiesische Galeeren schwammen - eine gefürchtete Quallenart, die dort normalerweise nicht vorkommt.
Meereskundler verweisen auf die Erwärmung der Meeresoberfläche im äquatorialen Pazifik. Dem Verenden der Lebewesen im Süden Chiles, in den Lachsfarmen und in den Fischbeständen vor der Küste sei das El Niño-Phänomen gemeinsam, «eines der stärksten der vergangenen 65 Jahre», sagen Experten des chilenischen Fischereiinstitutes Ifop. Die steigenden Wassertemperaturen sorgen für eine massenhafte Vermehrung von Algen, was zu Sauerstoffmangel oder hohen Konzentrationen von Toxinen führt.
Mit seinen 4000 Kilometern Pazifikküste ist Chile den Folgen von El Niño, das durchschnittlich alle vier bis sieben Jahre auftritt, besonders ausgesetzt. «Der chilenische Ozean ist dabei, sich zu verändern», sagt auch Sergio Palma, Meereskundler an der katholischen Universität von Valparaíso. Eine Reihe von Ereignissen zeige «einen El Niño mit vielerlei Erscheinungsformen».
Doch am Sterben der Lachse und Muscheln könnte auch die wachsende Zahl von Fischfarmen im südchilenischen Patagonien schuld sein. «Einige Studien weisen darauf hin, dass die Zunahme der Algen in Patagonien eine Folge der Aquakultur sein könnte», sagt Laura Farías, Ozeanographin an der Universität von Concepción. Für sie gibt es «kein ökologisches, ozeanographisches oder klimatisches Phänomen», das alle beobachteten Vorfälle verbindet.
Inzwischen beobachten Wissenschaftler ein Abflauen des aktuellen El Niño und eine allmähliche Abkühlung der Meeresoberfläche. Das Massensterben war dennoch ein Weckruf: Es fehle noch immer an Informationen über das Meer, klagt Valesca Montes, Fischereiexpertin beim World Wildlife Fund (WWF) Chile. Um auf den Klimawandel besser vorbereitet zu sein, müsse mehr in meereskundliche Studien investiert werden. Um bestimmte Ereignisse vorhersagen zu können und in Zukunft besser gewappnet zu sein.